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„Einhegen hat schon 1933 nicht funktioniert“

Eine Wanderausstellung beschäftigt sich in Osnabrück mit frühem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Heute ist die Ausgangslage eine andere, sagt der Kurator, der Politikwissenschaftler Thomas Altmeyer

Kundgebung der „Eisernen Front“ zur Preußenwahl im Berliner Lustgarten im April 1932 Foto: Bundesarchiv/Wikimedia

InterviewPetra Schellen

taz: Herr Altmeyer, wann beginnt „früher Widerstand gegen den Nationalsozialismus“, den Ihre Ausstellung behandelt? In den 1920ern, als Antisemitismus neu salonfähig wurde?

Thomas Altmeyer:Von politischem Widerstand im engeren Sinne kann man erst nach der „Machtübergabe“ 1933 sprechen. Aber es gibt natürlich Verbindungslinien zu demokratischen und sozialistischen Oppositionsbewegungen und einer kritischen Auseinandersetzung mit völkisch-nationalistischen Organisationen schon in den 1920er-Jahren.

Wer trug diesen öffentlichen Widerstand?

Er wurde zunächst vor allem getragen von Parteien und Organisationen der Arbeiterbewegung – KPD und SPD, die leider oft zerstritten waren und sich allenfalls auf kommunaler Ebene auf gemeinsames Handeln einigen konnten. Der Wunsch nach einer gemeinsamen „Einheitsfront gegen rechts“ wurde oft formuliert und selten in die Tat umgesetzt.

An wem scheiterte das?

An beiden Seiten. Die KPD wollte, dass die „Einheitsfront“ unter dem Label der KPD firmierte, denn man hielt die SPD für „Sozialfaschisten“. Für große Teile der SPD wiederum kam die KPD als „antirepublikanische Kraft“ nicht für eine Kooperation infrage. Er gab zwar kleine Organisationen wie den Internationalen Sozialistischen Kampfbund, die versuchten, die großen Parteien zusammenzuführen. Aber es misslang.

Warum leisteten auch die damals starken Gewerkschaften keinen Widerstand?

Die Gewerkschaften sprachen nicht mit einer Stimme; sie waren – wie die Parteien – richtungsmäßig zersplittert. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund als größter Gewerkschaftsverband scheute die Konfrontation mit dem NS-Regime – in der Hoffnung, dass die Gewerkschaften nicht verboten würden. Das NS-Regime wiederum lockte die Arbeiterschaft, indem es 1933 den 1. Mai als „Tag der nationalen Arbeit“ zum bezahlten Feiertag machte. Einen Tag später, am 2. Mai, wurden die freien Gewerkschaften dann verboten, ihr Besitz beschlagnahmt, etliche SPD- und KPD-Mitglieder verhaftet.

Dabei hätte ein Generalstreik durchaus wirken können, oder?

Möglicherweise. Deshalb haben wir den von Gewerkschaften und KPD gemeinsam ausgerufenen Generalstreik von 1920 mit in die Ausstellung genommen, mit dem der Lüttwitz-Kapp-Putsch gestoppt wurde. Der General und der Politiker hatten gemeinsam mit rechtsextremen Freikorpssoldaten versucht, die demokratische Regierung abzusetzen. Eine solche Einigkeit linker Bewegungen gegen rechtsextreme Kräfte gab es danach in den 1930ern nicht mehr.

Dabei zeigten schon die „Boxheimer Dokumente“ 1931 genau, was die NSDAP plante.

Ja. Durch eine NSDAP-interne Indiskretion wurden die von einem NS-Juristen verfassten Papiere öffentlich. Darin wurde angeregt, dass die NSDAP, um an die Macht zu kommen, alle Grundrechte außer Kraft setzt, politische Gegner in KZ deportiert und Widerstand mit dem Tode bestraftet. Die Veröffentlichung löste einen Skandal aus, gerade weil die NSDAP-Spitze öffentlich einen Legalitätskurs proklamierte. Die NSDAP erklärte im Übrigen, dass Dokument sei Produkt privater Aktivitäten einzelner Parteimitglieder. Eine Argumentationsmuster, das einem heute bekannt vorkommt.

Und welche Rolle spielte die Wissenschaft im Widerstand?

Foto: Giulia Daley

Thomas Altmeyer

Jg. 1978, Politologe, ist seit 2005 wissenschaftlicher Leiter des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945 in Frankfurt/M. Zudem ist er Lehrbeauftragter für Didaktik der Geschichte an der dortigen Uni und leitet den 2022 eröffneten „Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager“.

Die Wissenschaft wurde von konservativen und rechts außen stehenden Personen dominiert. Aber es gab auch andere wie den jüdischen Mathematiker und Pazifisten Emil Julius Gumbel. Er wies ab 1921 in mehreren Veröffentlichungen nach, dass es viel mehr politische Morde von rechts als von links gab, rechte Gewalt aber kaum bestraft wurde. Er zeigte auch, dass die Anzahl der rechten Morde ab Mitte der 1920er-Jahre parallel zum Bedeutungszuwachs der NSDAP anstieg. Gumbel entging knapp einem Attentat und emigrierte 1940 in die USA.

Und wie agierte der Widerstand seit 1933 im Untergrund?

Konspirativ. Der Internationale Sozialistische Kampfbund etwa schrieb mit Geheimtinte. Außerdem nutzten sie zum Beispiel einen Stempelkoffer mit einer Chemikalie. Am nächsten Tag konnte man dort, wo der Koffer gestanden hatte, mit UV-Licht die Worte „Weg mit Hitler“ lesen. Andere Widerstandsgruppen arbeiteten ähnlich. Es wurden Schriften heimlich gedruckt oder aus dem Exil ins Deutsche Reich geschmuggelt, man arbeitete mit Decknamen und vielem mehr.

Widerstand gegen rechts ist wieder aktuell. Sehen Sie Parallelen zur Weimarer Republik?

Natürlich ist die Ausgangslage anders: Damals hatte man einen verlorenen Weltkrieg mit seinen Kriegsfolgen, die Hyperinflation von 1923, Weltwirtschaftskrise und exorbitante Arbeitslosigkeit. Es war eine viel stärker traumatisierte Gesellschaft als heute. Außerdem wusste man damals noch nicht, wozu der Nationalsozialismus fähig ist. Es hatte den Holocaust und den Vernichtungskrieg noch nicht gegeben. Auch war die Demokratie jung und kaum gefestigt. Aber es gibt auch Parallelen – wenn man heute an die Radikalisierung von Sprache denkt und an das Einsickern von Tarnbegriffen wie „Remigration“. In der NS-Zeit hätte man das wohl „Umvolkung“ genannt. Und nicht zu vergessen die Gewalt­dimension – sprachlich von den einen angedeutet und, wie bei den rassistischen Morden 2020 in Hanau, von anderen ausgeführt.

„KPD und SPD waren damals oft zerstritten und konnten sich allenfalls auf kommunaler Ebene auf gemeinsames Handeln einigen“

Erinnert nicht auch die bröckelnde „Brandmauer“ der CDU an die NSDAP-Nähe der Zentrumspartei in den 1930ern?

Dieser Gewöhnungsprozess und die zunehmende Akzeptanz bestimmter Positionen und Parteien scheint mir tatsächlich eine Analogie zu damals. Er birgt die Gefahr der Delegitimierung von Demokratie. Denn wer erwägt, mit einer rechten Partei zu koalieren, um sie zu „entzaubern“, sollte die Vergangenheit kennen: Weder eine Koalition mit der NSDAP noch ein Reichskanzler Hitler haben sich, wie auch damals erhofft, „einhegen“ lassen.

Derzeit erringt die AfD in Umfragen bundesweit 20 Prozent. Bei 61 Millionen Wahlberechtigten wären das zwölf Millionen Menschen – mehr als bei allen Gegendemonstrationen. Sind die Demos nur ein Feigenblatt?

Nein. Das Schöne an den aktuellen Demonstrationen ist, dass sie so viele Teil­neh­me­r:in­nen haben und keine einzelne Partei oder Organisation dahinter steht, sondern dass sie sehr breit sind, aus allen Schichten und fast allen politischen Bereichen kommen. Darin liegt ein Unterschied zu Weimar: dass jetzt auch Leute aus der Mitte der Gesellschaft aufstehen und sagen: Wir müssen uns zeigen.

„Früher Widerstand gegen den Nationalsozialismus“, Wanderausstellung des Studien­kreises Deutscher Widerstand 1933–1945: So, 28. 1.,Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum, Osnabrück; bis 17. 3.

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