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Nicht ganz von dieser Welt

George Benjamins Oper „Written on Skin“ basiert auf einer mittelalterlichen Legende um Liebe und Tod. Katie Mitchells gefeierte Inszenierung der Uraufführung ist nun an der Deutschen Oper zu erleben

Tragische Liebes­geschichte: Aryeh Nussbaum Cohen als „The Boy“ und Georgia Jarman als Agnès in „Written on Skin“ Foto: Bernd Uhlig

Von Katharina Granzin

In Katie Mitchells Inszenierung von George Benjamins Oper „Written on Skin“ ist die Bühne ein opulenter Guckkasten, einem Puppenhaus gleich unterteilt in mehrere Fächer. Zwei Handlungsebenen werden darin bereits optisch sinnfällig: Es gibt eine – hier ist der Wortsinn Realität geworden – Rahmenhandlung, die in den kühl beleuchteten, in Schwarz-Weiß-Ästhetik gehaltenen Nebenräumen dieses Bühnenbilds untergebracht ist. Daneben spielt sich im größten Raumkästchen das eigentliche Drama ab.

Sanfte Erdfarben geben optisch den Ton an, das Licht bleibt die ganze Zeit gedimmt, und die Kostüme der SängerInnen sind farblich so auf Wände und Requisiten abgestimmt, dass sie gleichsam mit der Umgebung verschmelzen. Was da geschieht, ist, so scheint es, nicht ganz von dieser Welt oder spielt sich zumindest sehr weit weg ab.

Und so ist es auch. Die Geschichte, die George Benjamin und sein Librettist Martin Crimp mit „Written on Skin“ erzählen, ist zeitlich im Mittelalter angesiedelt. Es handelt sich um eine sehr alte Legende, die vermutlich auf den französischen Troubadour Gillem de Cabestanh aus dem 12. Jahrhundert zurückgeht und über die Jahrhunderte in zahlreichen Varianten weitererzählt wurde. Eine Version davon (sie ist im Programmheft abgedruckt) findet sich in Giovanni Boccaccios „Decamerone“.

Bei Benjamin/Crimp wird sie folgendermaßen erzählt: Ein Großgrundbesitzer – sein Rollenname ist „Protector“ („Beschützer“) – engagiert einen jungen Künstler (Rollenname „The Boy“), der ihm ein kostbares Buch gestalten soll. Während der Junge arbeitet, nähert sich ihm die Frau des Protectors, die zuvor als passiver Teil dessen Eigentums eingeführt worden war. Sie macht sich lustig über die wenig lebensnahe Darstellung einer Frauengestalt, die der Junge gemalt hat, und fordert ihn heraus, eine „echte Frau“ zu malen.

Die beiden beginnen eine Liebesbeziehung, die Frau entwickelt ein neues Selbstbewusstsein, beharrt darauf, nicht nur „the woman“ zu sein, sondern Agnès zu heißen, und versucht eines Tages gar, ihren Mann zu verführen, der davon entsetzt und abgestoßen ist. Als das Buch des Jungen fertig ist und die Beziehung ans Licht kommt, lässt der Protector den Jungen töten und sein Herz der Frau als Speise vorsetzen. Nachdem Agnès erfahren hat, was sie gegessen hat, nimmt sie sich das Leben.

„Written on Skin“ entstand 2012 als Auftragswerk für das Festival in Aix-en-Provence, und bei der jetzt erstmals in Berlin zu sehenden Produktion handelt es sich um die Originalinszenierung der Uraufführung, die Katie Mitchell eingerichtet hat – aber die Besetzung ist eine andere als damals. Mark Stone als Protector, Georgia Jarman als Agnès und Aryeh Nussbaum Cohen als Boy liefern in der Premiere der Deutschen Oper ein fulminantes sängerisches Kammerspiel ab, Jarman und Nussbaum Cohen mit einer schwindelerregenden Leichtigkeit und gleichzeitiger Stärke in ihren oft melodramatisch lang zu haltenden Tönen in allerhöchsten Lagen.

Diese tragische Liebesgeschichte ist auch von großer musikalischer Nähe geprägt – sowohl in der musikalischen Innig- beziehungsweise Einigkeit, in der Benjamin manche Dialoge komponiert hat, als auch in der stimmlichen Nachbarschaft. Denn The Boy ist eine Countertenor-Rolle.

Diese tragische Liebesgeschichte ist auch von großer musikalischer Nähe geprägt

Die kammermusikalische Besetzung der Singenden – außer den drei Hauptrollen gibt es ein paar wenige Nebenparts mit geringem Anteil am Geschehen – wird unterfüttert durch einen vielstimmigen dramatischen Kommentar aus dem Orchestergraben. Benjamin reizt nicht nur die Klangfarben- und Artikulationsmöglichkeiten des herkömmlichen Orchesterapparats nach allen Regeln der Kunst aus, sondern fügt noch weitere hinzu. Eine Glasharmonika und eine Gambe setzen immer wieder überraschende Akzente und ergänzen das musikalische Erleben um eine ganze klangliche Assoziationsebene: Die Anmutung von etwas, das sich in weiter Ferne abspielt, wird dadurch musikalisch kongenial abgebildet. Marc Albrecht und das Orchester der Deutschen Oper lassen die komplexe Partitur mit hörbarer Lust an deren musikalischer Vielgestaltigkeit lebendig werden.

Tatsächlich ist die komplexe musikalische Form dieser Oper einfacher zu rezipieren, weil unmittelbarer nachzuempfinden, als das ebenso raffinierte, mehrbödige Libretto mit seinen zahlreichen Metaebenen. Manche leuchten unmittelbar ein – ja, es ist schon ein cooler Verfremdungseffekt, wenn die Figuren auch ihre Regieanweisungen singen –, andere bleiben aber in Mitchells Inszenierung so lange rätselhaft, bis man das Programmheft gelesen hat. Auf die Sache mit den Engeln in der Rahmenhandlung würde man jedenfalls von allein wohl eher nicht kommen.

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