: Lustspiel über den austauschbaren Massenmenschen
Max Lindemann inszeniert am Berliner Ensemble gemeinsam mit den Nachwuchsstars der Hochschule „Ernst Busch“ Brechts Militärwerbekomödie „Mann ist Mann“
Von Tom Mustroph
Der erste Eindruck ist: Hier herrscht noch ungebrochene Spielfreude. In Fantasieuniformen gesteckt stürmen die Schauspielstudent*innen Joana Damberg, Philipp Jacob, Till Raskopf und Dominikus Weileder auf die Bühne des atmosphärisch kargen Neuen Hauses des Berliner Ensembles. Sie rollen, kugeln, krabbeln und türmen sich – eine Mischung aus karnevaleskem Sturmtrupp und unschuldigen Kindern, die Soldaten spielen. Das begeistert gleich. Es irritiert auch etwas. Denn schließlich sind die Nachrichtenmonitore derzeit voll von Menschen, die teils ganz ernsthaft und betont verantwortungsbewusst, teils aber auch ausgesucht brutal dem Kriegshandwerk nachgehen. Aber klar, sein Stück „Mann ist Mann“ hat Bertolt Brecht selbst als Lustspiel ausgewiesen. Und da ist dann selbstverständlich Klamauk erlaubt, zumal die Studierenden der Hochschule „Ernst Busch“ in dieser sprechfreien Eingangssequenz auch zeigen können, was sie im Körpertheaterunterricht aufgeschnappt haben.
Ein bisschen überzieht Maurice Läbe in der Rolle des Sergeanten dann das Klamaukhafte. Er zeigt jedoch auch, dass er über viel komisches Talent verfügt. Ein echter Höhepunkt ist seine Ejakulationsszene mit Blumenkohl. Etwa zur Mitte der Inszenierung wird der Pfad des Lustigen verlassen. Es kommt mehr Ernsthaftigkeit ins Spiel – durchaus nicht zum Schaden des Abends. So zeigt sich, dass dieses Stück auch heute noch einiges zu erzählen hat, obwohl es vor ziemlich genau 100 Jahren geschrieben wurde. Damalige Freikorpsgeschichten vermischen sich darin mit einem Touch Kolonialmilitärexotik, der Brecht bei der Lektüre von Erzählungen Rudyard Kipling erlag. Das noch heute Relevante aber ist, wie Brecht hier die Austauschbarkeit des Individuums vorexerziert. Versuchskaninchen im lehrstückhaften Arrangement ist der prekäre Prolet Galy Gay. Gerade noch will der Lastenschlepper Gay Feiertagsfisch für die Gattin kaufen, da gerät er schon in die Fänge von Soldaten, die einen neuen Mitstreiter suchen. Einer von ihnen hat sich bei einem Einbruch etwas ungeschickt angestellt. Zum Fahnenappell muss aber Vollzähligkeit simuliert werden. Also wird der gutmütige Zivilist Gay flugs in eine Uniform gesteckt.
Die ursprüngliche Maskerade baut Brecht zum Identitätsklau aus. Denn irgendwann taucht Originalsoldat Jeraiah Jip (Weileder in einer schönen Doppelrolle, er spielt auch Galy Gays Frau) wieder auf und will seinen angestammten Platz einnehmen. Gay als neuer Jip verteidigt die per Zufallskaskaden errungene Position jedoch. Der vorher so fügsame Bursche (gespielt von Nele Trebs, die als Kinderstar schon Filmerfahrung hatte) bekommt endlich Kontur. Brecht führt den Menschen als echtes Aas vor; selbst der Gutmütigste wird egoistisch, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet.
Das bleibt alles zwar ziemlich grob geschnitzt, aber die Mechanismen des kapitalistischen Systems – das vor der Armee nicht haltmacht – treten deutlich zutage. Einerseits wird das Individuum passfähig für die Aufgaben gemacht. Das ist der Druck von oben. Aber auch von unten, vonseiten der prekären Proletarierschaft, wird das System angenommen. Da war Brecht schlauer und vor allem aufmerksamer als viele der heutigen Gesellschaftskritiker*innen, die in Ausgebeuteten vor allem die Opfer sehen, nicht aber die Komplizen, die um kleinster Vorteile willen das System mittragen. Sie tragen es sogar mit Begeisterung mit. Trebs deutet mit gewaltiger Stimme an, dass der neue Jip in Zukunft das Kommando übernehmen könnte.
Regisseur Max Lindemann, an Kay Voges’ Dortmunder Bühne zum Regisseur gereift, zeigt sich allerdings etwas unschlüssig, ob er mehr auf die parodistische oder mehr auf die analytische Seite des Stücks setzen soll. Auch in der Bildsprache (Bühne und Kostüm: Michael Wagenschütz) schwankt die Inszenierung. Mal ist es karger Realismus mit einem Zeltplatzimbisswagen in Anmutung der 1950er Jahre, der als zentrales Bühnenelement ins Auge sticht. Die Uniformen hingegen sind operettenhaft ausgearbeitet, besonders die des Sergeants fällt durch lächerliche Pracht auf.
Zur Premiere ruckelte und rumpelte die Inszenierung noch etwas. Die in der Anlage feinen Gesangspassagen gingen wegen schlechter Aussteuerung der Musik vom Band leider unter. Aber das Grundgerüst steht. Und man sieht auch, dass demnächst wieder ein guter Jahrgang von der „Ernst Busch“ auf die Bühnen und in die Filmstudios kommt. Neben den oben Genannten war noch Nele Rößler als allseits zupackende Marketenderin Begbick mit von der Partie.
Wieder am 19., 22., 23. Januar um 20 Uhr
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