Krieg in Gaza: Es muss auch ohne Israel gehen
Mit Netanjahu wird es keinen Frieden im Nahen Osten geben. Nötig ist jetzt eine Initiative der internationalen Staatengemeinschaft.
Z um Jahreswechsel wartet die Welt auf Zeichen aus dem Nahen Osten: dass der von der Hamas provozierte Krieg bald beendet wird; dass Israel den Gazastreifen nicht mehr wie bisher flächendeckend bombardiert; dass Israelis und Palästinenser bereit sind, zu einer politischen Lösung zu kommen. Doch bislang wartet die internationale Staatengemeinschaft vergeblich.
Stattdessen gab Israels Premier Benjamin Netanjahu via Wall Street Journal weiterhin eine harte Linie vor: Die Hamas müsse vernichtet, Gaza entmilitarisiert und die palästinensische Gesellschaft entradikalisiert werden. Erst dann seien die Kriegsziele seines Landes erreicht.
Netanjahu geht es um sein politisches Überleben. Seine Worte sind gerichtet an seine rechtsextreme Klientel im Land und an jene Teile seiner Regierung, die dem Dogma anhängen, es könne ein sicheres Israel ohne einen eigenen palästinensischen Staat geben. Aber wenn das die Positionierung ist, wird es mit dem Israel Netanjahus absehbar nicht den Hauch einer politischen Lösung geben.
Denn die Hamas kann vielleicht im Gazastreifen militärisch niedergerungen, absehbar aber nicht als Organisation zerstört werden. Als Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft existiert sie unabhängig von der militärischen Struktur. Die politische Führung der Hamas sitzt weitgehend ungefährdet und auskömmlich finanziert in Katar. Und selbst wenn es der israelischen Armee tatsächlich gelingen sollte, die Führung der Hamas um Jahja Sinwar zu töten, würde sich daran nichts ändern. Hamas als Idee einer religiösen, dschihadistischen Bewegung wird für eine lange Zeit weiterleben.
Eine Entmilitarisierung von Gaza, Netanjahus zweite Bedingung, würde selbst beim derzeitigen israelischem Kriegskurs noch viele Monate, vielleicht Jahre dauern. Die militärische Kapazität der Hamas ist angegriffen, aber nicht vernichtet. Und da die israelische Armee unter gefühlt jedem zweiten Gebäude in Gaza militärische Strukturen oder Waffendepots findet, wäre eine vollkommene Entmilitarisierung nur dann möglich, wenn man den ganzen Küstenstreifen dem Erdboden gleichmachte und danach auch noch umgrübe, um alle Tunnel zu vernichten.
Entmilitarisierung kann also nur eine Metapher dafür sein, die militärische Befehlsstruktur der Hamas zu zerstören. Im Büro von Joaw Galant, dem israelischen Verteidigungsminister, hängt angeblich ein Poster: Mit Fahndungsfotos soll die militärische Struktur der Hamas in Gaza dargestellt sein.
Diejenigen, die die israelische Armee seit dem 7. Oktober getötet oder gefangen genommen hat, sind demnach mit einem X markiert. Auf diesem Poster ist das eigentliche Kriegsziel Israels in wenigen Bildern verdichtet: Es geht darum, so viele Köpfe aus der Spitze der Hamas wie möglich zu töten – natürlich auch die beiden militärischen Köpfe der Hamas in Gaza, Jahja Sinwar und Mohammed Deif. Dass Israel den Krieg in Gaza beendet, bevor Sinwar und Deif gefangen oder getötet sind, ist unwahrscheinlich. Doch selbst dieses Ziel liegt noch in ungewisser Ferne, auch wenn Israels Militär jetzt Chan Junis und den südlichen Gazastreifen ins Visier genommen hat.
Neuer Hass wird gesät
Und wie ist es um das dritte Kriegsziel, der Deradikalisierung der palästinensischen Gesellschaft, bestellt? In den palästinensischen Gebieten wie in der Unterstützungsbewegung weltweit tönt der Schlachtruf des globalisierten Antisemitismus „From the river to the sea“. Es ist diese Gesinnung, aus der der 7. Oktober folgte.
Ohne eine Deradikalisierung der palästinensischen Gesellschaft kann es ganz offenkundig keine politische Lösung geben. Aber der Krieg in Gaza bewirkt nur eines: Der Schlachtruf schwillt an. Das Israel Netanjahus ist an einem Prozess der Deradikalisierung auf absehbare Zeit nicht beteiligt. Wohl nur dessen Sturz könnte Hoffnung darauf bergen.
Die Welt kann weiter lange auf Zeichen aus Israel warten. Nentanjahu hat vielfach dokumentiert, wie er sich eine politische Lösung vorstellt: ohne Palästinenser. Das neue Jahr braucht deshalb möglichst schnell eine Initiative der internationalen Staatengemeinschaft, die über folgenlose UN-Resolutionen hinausgeht, einem angegriffenen Israel Solidarität zusichert und deutlich macht, dass eine politische Lösung nur darin bestehen kann, beiden Völkern Raum zu geben. Sie muss konkrete Schritte beinhalten. Man kann der Welt Härte und Konsequenz gegen die Hamas vermitteln, aber nur, wenn es für alle anderen Palästinenser Hoffnung und eine Perspektive gibt.
Erst wenn dieser Prozess – im Zweifel zunächst auch ohne israelische Beteiligung – durch die internationale Staatengemeinschaft in Gang gesetzt ist, wird aus Netanjahus Dreiklang eine Politik, die die Idee eines Friedens im Nahen Osten in sich trägt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland