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Mehr Albtraum als traumhaft: Die Lage der Menschenrechte in Georgien

Seit die Partei Georgischer Traum an der Regierung ist, wurde die Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Zudem mangelt es an Frauenrechten und dem Schutz von LGBTQ+-Personen

Von Barbara Oertel

„Unser Team, unsere Regierung haben zusammen mit den Menschen einen großen Sieg errungen. Der Traum vieler Generationen ist wahr geworden“, sagte Georgiens Ministerpräsident Irakli Garibaschwili am vergangenen Montag bei der Vorstellung der diesjährigen Regierungsbilanz in Tiflis.

Er bezog sich damit auf den Kandidatenstatus, den die Staats- und Regierungschefs der EU der Südkaukasusrepublik wenige Tage zuvor zuerkannt hatten. Georgien könne jetzt, so Garibaschwili weiter, wirklich ein europäischer Staat werden und sich den wichtigsten Traum erfüllen: Die Vereinigung des Landes – eine Anspielung darauf, dass mit den Regionen Abchasien und Südossetien 20 Prozent des Territoriums von russischen Truppen besetzt sind.

Garibaschwilis Lobhudelei dürfte bei vielen, vor allem jungen Ge­or­gie­r*in­nen eher auf Kritik gestoßen sein. Denn vor allem die Lage der Menschenrechte ist unter der Regierungspartei Georgischer Traum, seit 2012 an der Macht, gelinde gesagt, bedenklich. Ein Gesetz vom vergangenen März über die „Transparenz ausländischer Einflüsse“, das viele an das russische Machwerk über „ausländische Agenten“ erinnert, konnte zwar durch Massenproteste verhindert werden. Jedoch machte das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die De­mons­tran­t*in­nen nicht zum ersten Mal deutlich, was die Regierung unter Versammlungsfreiheit versteht: 169 Festnamen, Anwendung physischer und verbaler Gewalt sowie die Behinderung der Arbeit von Jour­na­lis­t*in­nen sind nur einige Aktionen, die allesamt nicht nur gegen georgische Gesetze, sondern auch gegen internationale Verträge verstoßen.

Ein ähnliches Gebaren, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen, führten Ordnungskräfte bei der Pride am 8. Juli 2023 vor. Anstatt die Teil­neh­me­r*in­nen und die öffentliche Ordnung zu schützen, ließen sie rechte gewalttätige Gruppen gewähren. Ohnehin sind LGBTQ+-Personen im Alltag Gewalt, Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt. Ihre Rechte werden im Aktionsplan für Menschenrechte (2024 bis 2026) der Regierung jedoch nicht einmal erwähnt.

Häusliche Gewalt ist laut dem Verband georgischer junger An­wäl­t*in­nen eine der häufigsten Straftaten in Georgien

Auch bei Frauenrechten liegt viel im Argen. Häusliche Gewalt ist, laut der Nichtregierungsorganisation Verband georgischer junger An­wäl­t*in­nen (GYLA), eine der häufigsten Straftaten in Georgien. Im vergangenen Oktober wurden zwei weibliche Parlamentsabgeordnete der Opposition Opfer von sexuellen, verbalen Übergriffen. Die Gesetzgebung böte jedoch keine wirksamen Rechtsmechanismen gegen sexuelle Gewalt. Für Frauen, die Gewalt ausgesetzt seien, sei es kaum möglich, juristisch dagegen vorzugehen, so GYLA. Großes Aufsehen erregte vor wenigen Monaten der Fall einer zwangsverheirateten 14-Jährigen, die bei einem Fluchtversuch von ihrem Ehemann erschossen wurde.

Als nahezu machtlos erweist sich die georgische Regierung auch, wenn es um den Schutz ihrer Bür­ge­r*in­nen geht, die in den sogenannten Grenzgebieten zu Südossetien leben. Immer wieder werden Fälle von unmenschlicher Behandlung, Festnahmen oder Entführungen durch russische und südossetische Truppen infolge „illegaler“ Grenzübertritte bekannt. Das Problem jedoch ist, dass sich diese „Grenze“ immer weiter ins Landesinnere Georgiens verschiebt (Borderization). Am 6. November 2023 wurde ein 58-jähriger Georgier erschossen, der die Kirche in dem Dorf Kirbali besuchen wollte. Diese befindet sich seit einigen Monaten auf südossetischem Territorium.

Premier Irakli Garibaschwili sagte am Montag auch noch, dass das Land für weitere Reformen jetzt noch härter arbeiten müsse. Nicht nur bei Menschenrechten hat die Regierung noch viel Luft nach oben.

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