: Ein Bericht aus der Hölle
Der Autor und Journalist Stanislaw Assejew musste mehr als 900 Tage im russischen Foltergefängnis verbringen. Sein Bericht darüber, das Buch „Heller Weg“, ist erschütternd
Von Jens Uthoff
Angesichts dessen, was Stanislaw Assejew und seine Mitgefangenen im Foltergefängnis in Donezk erlebt haben, stellt sich die Frage, wie und ob Sprache das absolut Grausame abbilden kann. „In Wirklichkeit wird niemand verstehen, wie es hier war, solange er es nicht selbst erlebt hat“, sagt ein Zellengenosse zu Assejew einmal über den Aufenthalt dort. Folter mit Strom, Vergewaltigung, Prügel, Demütigung: Man kann die schier grenzenlose Niedertracht mit Worten beschreiben, aber begreifen?
Stanislaw Assejew: „Heller Weg, Donezk“. Übersetzt von Anselm Bühling u. a. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, 250 Seiten, 20 Euro
Der Autor und Journalist Stanislaw Assejew stammt aus dem ukrainischen Donezk, er hat von 2015 bis 2017 über den Krieg im Donbass berichtet. Im Juni 2017 wurde er von prorussischen Separatisten verschleppt und gefangen genommen. Er kam ins Donezker Gefängnis Isoljazija (Isolation), einen Ort, den Assejew heute als „russisches KZ“ bezeichnet. Mehr als 900 Tage muss er dort verbringen, Ende 2019 kommt er im Rahmen eines Gefangenenaustauschs frei.
In seinem Buch „Heller Weg, Donezk. Bericht aus einem Foltergefängnis“, das bei Suhrkamp nun in einer Neuübersetzung erscheint, erzählt Assejew, wie man mit den Qualen, dem Schmerz, der völligen Perspektivlosigkeit umgehen kann. „Heller Weg“ lautet die Adresse des Folterknasts, ausgerechnet. Die meisten Texte, die Assejew im Gefängnis auf Fetzen Papier schreibt, werden ihm von den Wärtern abgenommen. Einige schriftliche Aufzeichnungen lernt er deshalb direkt nach dem Schreiben auswendig, um sich später an sie erinnern zu können. Sie finden sich zum Teil in diesem Buch. Assejew schreibt darin unter anderem über Suizidpläne, seinen Hungerstreik, Religion und Sex im Gefängnis, kleine Lichtschimmer wie das Streicheln eines Hundes des Aufsehers.
Die Isoljazija steht dabei symbolisch für das, was seit 2014 im Donbass – von der Weltöffentlichkeit weitestgehend ignoriert – vor sich ging. Früher war in dem Gebäude ein Werk für Isoliermaterial, dann wurde es von Ukrainer:innen als Kunstraum genutzt. Noch während des Euromaidans 2014 fanden dort Diskussionen und Ausstellungen statt. Im Juni 2014 stürmten Separatisten das Haus, zerstörten die Kunstwerke, schufen eine Militärbasis. Und errichteten ein Foltergefängnis.
Was den Gefangenen während Assejews Zeit dort widerfährt: Elektrisch geladene Drähte werden an Geschlechtsteilen befestigt, Stromschläge werden verteilt. Die Wärter prügeln die Gefangenen mit dem PR-73, dem Gummiknüppel. Aus Nachbarräumen hört Assejew, wie Frauen vergewaltigt werden. Verbale Demütigungen, Essens- und Wasserentzug sind an der Tagesordnung. Die Insassen werden gezwungen, alte sowjetische Lieder zu singen. Organisiert wird das alles vom Gefängnisboss Palytsch (der Autor spielt auf das russische „palatsch“ an: „Henker, Peiniger, Folterer“).
Es ist eine Aneinanderreihung von Grausamkeiten, die sich im Isoljazija abgespielt haben und die der Autor zum Teil selbst erlitten hat. Er beschreibt, wie sich all das, was man für „normal“ oder menschlich hält, an diesem Ort ins Gegenteil verkehrt. „Das tägliche Geschehen bestimmt, was die Norm ist. Der Versuch, sich der Folter und den Erniedrigungen ernsthaft zu stellen, hätte in den Wahnsinn geführt. Die Dinge, die sich abspielten, waren so furchtbar, dass man sie als normal betrachten musste, um nicht den Verstand zu verlieren.“ In einem anderen Text hat Assejew passenderweise einmal geschrieben, dass man sich die Isoljazija vorstellen muss wie das Liebesministerium in George Orwells „1984“, also als Ort, wo die Liebe zum „Großen Bruder“ mit allen Mitteln erzwungen wird.
Stanislaw Assejew betreibt heute den Justice Initiative Fund (JIF). Mit der NGO sammelt er Informationen über russische Kriegsverbrecher. Über den Fonds werden die Informanten bezahlt, die gesammelten Informationen gibt der JIF an die ukrainischen Sicherheitsbehörden weiter. Auf dass die Täter irgendwann zur Rechenschaft gezogen werden mögen.
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