piwik no script img

Die informierte Landschaft

Ein bayerischer Wandervogel folgt den Spuren des Menschen in der Natur und erblickt Wunden. Die Alfred Ehrhardt Stiftung zeigt unbekannte Fotografien des Bauhausschülers und Architekten Fritz Schleifer

Von Brigitte Werneburg

So auf- und leer geräumt seine Aufnahmen von den Küstenlandschaften und Nordseeinseln wirken, so spontan drängt sich die Frage auf: Was eigentlich fotografiert Fritz Schleifer da? Die 48 Aufnahmen, die derzeit in der Alfred Ehrhardt Stiftung zu bestaunen sind, gehören zu dem von dem Architekten, Möbeldesigner und grafischen Künstler konzipierten Fotobuch „Küstenland“, das 1939 im renommierten Heinrich Ellermann Verlag in Hamburg erscheinen sollte. Der Krieg verhinderte die Publikation. Aber auch der Wunsch des Verlegers, Schleifer möge doch noch Bilder von „Menschen, Gerät, Fischfang und Schiffen“ beibringen, hatte die Veröffentlichung verzögert. Sein Wunsch spricht Bände. Auch Heinrich Ellermann war sich offenbar nicht sicher, was Schleifers Aufnahmen bedeuteten.

Dass wir sie kennen, ist ein Glücksfall. Im Jahr 2000 stieß der Architekturhistoriker und Kurator Hans Bunge, damit befasst, den Nachlass von Fritz Schleifer für das Hamburgische Architekturarchiv zu sichern, auf ein Konvolut von 128 Vintageprints. Sie führten ihn auf die Spur des geplanten Bildbandes und zur Entdeckung des Fotografen Fritz Schleifer. Als solcher war er zwar – allerdings ohne größere Konsequenzen – schon 1929 aufgefallen, als er im Foyer des Altonaer Stadttheaters gemeinsam mit August Sander ausstellte, der gerade sein viel beachtetes Buch „Antlitz der Zeit“ veröffentlicht hatte. „Der junge Altonaer Architekt Fritz Schleifer geht nicht zuerst vom Menschen aus, sondern von dessen Umwelt“, erklärte die Broschüre des Theaters seinen Ansatz: „Wie er als Architekt dem modernen Menschen eine ihm gemäße Umwelt geben will, so auch auf den Fotos.“

Der Mann, der die Küstenlandschaft unzweifelhaft liebte, wurde 1903 ausgerechnet in Pfaffenhofen an der Ilm geboren und wuchs in München auf. Der Wandervogel und Schulabbrecher wurde 1922 am Bauhaus in Weimar angenommen, wo er den Vorkurs bei Georg Mucha und später bei Johannes Itten besuchte. Er lernte Gropius, Feininger, Kandinsky und Moholy-Nagy kennen, mit denen er auch nach seinem Weggang vom Bauhaus 1924 in Kontakt blieb. Anschließend schrieb er sich an der TU München im Fach Architektur ein. 1927 ging er nach Hamburg, wo er in der Architekturabteilung des Warenhausimperiums von Rudolf Karstadt zu arbeiten begann. Drei Jahre später wurde Schleifer zusammen mit dem Bauhäusler Alfred Ehrhardt von Max Sauerländer als künstlerisch freischaffender Lehrer und Leiter eines Vorkurses an die Landeskunstschule berufen, die der Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe damals kommissarisch leitete.

Als missliebige Vertreter der Moderne wurden beide 1933 von den Nazis vertrieben. Schleifer gelang es mit moderaten Aufträgen – vornehmlich modernistische Land- und Einfamilienhäuser für das Hamburger Bürgertum – als freier Architekt unter dem Radar des Regimes zu bleiben. Auch 1939 entging er zunächst der Einberufung zur Wehrmacht, indem er Mannschaftsunterkünfte für die Luftwaffe entwarf. Der Bau des Atlantikwalls nach der Besetzung Dänemarks machte ihn mit der Natur und Architektur der dänischen Nordseeküste vertraut.

Schleifer gelang es, als freier Architekt unter dem Radar des Regimes zu bleiben

Die Aufnahme „Thyborøn“ zeigt freilich nicht die Festung, die die Deutschen dort errichteten, sondern eine betonierte Mole, wie sie, von Steinblöcken gerahmt, flach ins Meer führt. Der Horizont ist hoch ins Bild gesetzt, über dem bildfüllenden Strand mit seinem puderweißen Sand nimmt der Himmel denselben schmalen Streifen ein wie das Meer. Das ist eine recht radikale Bildgestaltung, die Christiane Stahl in ihrem Katalogbeitrag „in größerer Nähe zum Neuen Sehen, als zu den gesetzten Kompositionen der Neuen Sachlichkeit“ verortet. Aber auch das Neue Sehen frönt wie die Neue Sachlichkeit spezifischen Ansichten der Moderne und überhöht sie. Beide Stile feiern die Industriekultur und das Design, dem nun eine herausragende Rolle zukommt; sie lieben das Raster und begegnen überall dem Seriellen, gerne in Form einer endlosen Reihung der Dinge, wobei auch die Bäume im Wald als solche Reihung fotografiert werden können und das Schlicksediment im Wattenmeer als solches Muster.

Diese Überhöhung des Motivs macht Schleifer nicht mit. Sein Blick auf Küste und Natur ist profan: Er zeigt den Betonweg ins Meer, die Lorenbahn, die zur Hallig Ohland führt, die Deiche und Dämme, den Strandhafer zur Befestigung der Dünen. Der Mensch ist in seinen Fotografien physisch kaum präsent, dafür aber in den Wegfurten, Entwässerungskanälen, den Schleusen, Buhnen und Wagenspuren, die sich im Schlick kreuzen, den bevorzugten Motiven der Aufnahmen mit hohem Horizont. Diese Spuren des Menschen in der Gestaltung der Landschaft bildet nur selten serielle Muster, grafische Raster und abstrakte Strukturen. Vielmehr wirkt sein Abdruck in der Natur oft wie eine Narbe oder eine dem Land zugefügte Wunde.

Indem sich Schleifer auf die Schnittstellen zwischen Mensch und Landschaft, zwischen Mensch und der von ihm geprägten, also informierten Landschaft konzentriert, fotografiert er moderner als der Neue Fotograf, als der er in seinen eigenwilligen Blickwinkeln und radikalen Bildausschnitten zu erkennen ist. Seine Wahrnehmung der Küstenlandschaft nicht als Raum der Dinge und der extremen Perspektiven, sondern als Raum ihrer Verbindungen und ihrer Begegnungen, lässt sich – unterstützt durch die Sorgfalt und Sensibilität der Bildkomposition – weder auf eine dokumentarische noch auf eine atmosphärische Sichtweise reduzieren. Das erschwert eine schnelle Deutung und mag den Wunsch nach Schiffen, Menschen und Fischfang wecken.

Bis 23. 12. Alfred Ehrhardt Stiftung, Auguststr. 75, Di. bis So. 11 bis 18 Uhr. Katalog: „Der Verlust der Mitte ist der Gewinn des Randes. Fritz Schleifer – ein Hamburger Bauhausschüler zwischen Architektur und Kunst“. Hrsg. von Hans Bunge. Dölling & Galitz Verlag, München/Hamburg 2023, 40 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen