: Schreiben gegen das Schweigen
Die Autorin Manja Präkels sprach in Potsdam zur Vorstellung des Sammelbands „Rechte Gewalt“
Vor ein paar Jahren entstand der Begriff „Baseballschlägerjahre“, der schnell Eingang fand in die zeitgeschichtliche Beschreibung eines ostdeutschen Jahrzehnts rechter Gewalt. Die Liste der rechten Gewalttaten in den 90er-Jahren allein im Osten ist markerschütternd lang. Manche haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt – Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen etwa. Dass es schon im April 1991 anlässlich des Wegfalls der Visumspflicht für polnische Staatsbürger am Grenzübergang Frankfurt (Oder) Grenzkrawalle neonazistischer Jugendlicher gab, ist hingegen fast vergessen. Und das, obwohl damals sogar die internationale Presse berichtete: Die französische Le Monde etwa beobachtete eine deutsche „hystérie anti-polonaise“.
Ein neuer Sammelband mit dem Titel „Rechte Gewalt, Aktuelle Analysen und zeithistorische Perspektiven auf das Land Brandenburg“, herausgegeben von Gideon Botsch, Gesa Köbberling und Christoph Schulze im Metropol Verlag, nimmt Ereignisse wie dieses in den Blick und spürt dem Phänomen rechter Gewalt nach. Eine eher mittelbare Folge rechter Gewalt, so scheint es, wird gesellschaftlich selten reflektiert: Scham. Dabei seien die 90er heute in Brandenburg eine „allumfassend schambesetzte Zeit“, so die Schriftstellerin Manja Präkels anlässlich der Vorstellung des Bands am Dienstag in Potsdam.
Präkels, die mit ihrem 2017 erschienenen Roman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ die Zeit literarisch verarbeitete, ist ebenfalls im Sammelband vertreten. In ihrem Beitrag reflektiert sie, wie sie sukzessive eine Sprache fand für die rechte Gewalt, wie sich das Geschehene nach all den Jahren wieder verdichtete, ihr irgendwann ermöglichte, den preisgekrönten Roman zu schreiben. Nicht nur wegen der Gewalt wird bis heute geschwiegen, wie Präkels im Gespräch sagt. Auch wegen der biografischen Umbrüche der Nachwendezeit, wegen „der radikalen Katastrophe im sozialen Bereich“ seien diese Jahre schambehaftet.
Die 1974 geborene Präkels ist eng verwoben mit der gewalttätigen Nachwendezeit: Sie wuchs in Zehdenick im ländlichen Brandenburg auf und wurde im Januar 1992 Zeugin tödlicher Gewalt, als ihr Bekannter Ingo unter heute nicht mehr lückenlos aufklärbaren Umständen vor einer Diskothek ums Leben kam. „Während die Meute auf ihn eindrosch, ihren unbändigen Hass an ihm, der allein war und chancenlos, abreagierte, hockte ich wenige Meter entfernt zitternd in einem Versteck und hielt die Luft an“, schreibt Präkels. Die Behörden gingen damals von einem tödlichen Treppensturz aus. Die Akten wurden, man ahnt es fast, fristgemäß vernichtet. Sie sei bis heute unglücklich darüber, so Präkels, dass sie keine konkreten Tatverdächtigen benennen kann. In der Nacht, erinnert sie sich, wusste sie noch, wer dabei war. Nach all den Jahren nicht mehr. Die Mutter von Ingo lebt bis heute in Zehdenick und hofft, dass irgendwann irgendjemand sein Schweigen bricht.
Ihre ersten literarischen Schreibversuche machte Präkels 2003 in dem antifaschistischen Fanzine Massenmörder züchten Blumen. Ihr Beitrag dort, so schreibt sie, erhielt viel Aufmerksamkeit: „Grundtenor: Das ist auch meine Geschichte, die meiner Freunde. Bitte erzähl mehr davon. Das glaubt uns doch sonst niemand.“ Das Schreiben über die Ereignisse dient für Präkels, das wird am Dienstag deutlich, nicht nur der Verarbeitung, sondern auch der kollektiven Aufarbeitung. Man könne, sagt sie, „sich gegenseitig herausheben aus dem Schweigen“. Julian Sadeghi
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