: Der Traum der Vorfahren
Zukunftsvisionen dringend gesucht: Das Festival Afrikamera zeigt Spiel- und Dokumentarfilme aus verschiedenen Ländern Afrikas. Überlieferung spielt eine Rolle und der Besuch von Außerirdischen
Von Michaela Ott
„Mami Wata“ (2023), der Spielfilm von C. J.,Fiery’ Obasi (Nigeria), der die diesjährige Ausgabe des „Afrikamera“-Festivals eröffnet, schildert wie viele andere Festivalbeiträge einen Kampf zwischen „Tradition“ und „Moderne“. Anhänger:innen des in Westafrika verbreiteten Wassernixen-Kults „Mami Wata“ treffen auf einfallende Männerhorden, die sich christlich nennen und Elektrizität, Schulen und Krankenhäuser zu bringen versprechen. Gegen diese Fremden, darunter einen Weißen, die sich als Waffen liefernde Killer entpuppen, siegt zuletzt ein weiblicher Dreibund im Vertrauen auf die mystische Kraft der Wassernixe und deren künftige Wiederkehr. Damit triumphiert auch eine gewagte, aber stimmige Schwarzweißästhetik der theaternahen Inszenierung. Dass der „Mami Wata“-Kult in Westafrika länderübergreifend mit Zukunftspotenzial belegt ist, verdeutlicht auch die Serie „Mami Wata: Le mystère d’Iveza“ (Gabun 2021): Am 18. November wird eine ihrer Episoden gezeigt.
Erfreulich, dass wie jedes Jahr im November die Ästhetiken und Themen des afrikanischen Kinos das hiesige Interesse an nicht westeuropäischen Problemstellungen bereichern. Vier Kinos (Arsenal, Brotfabrik, fsk, Sinema Transtopia) zeigen zwischen dem 14. und 19. November erneut eine Auswahl an Spiel- und Dokumentarfilmen des namhaften Kinofestivals FESPACO, das alle zwei Jahre in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou unter der Leitung des Festivalgründers Alex Moussa Sawadogo veranstaltet wird: Diesmal mit dem Schwerpunkt „Future & Utopias“ – „Zukunftsvisionen jenseits westlicher Vorstellungen“ im Kurz- und Langfilmformat.
Öl und Milch werden knapp
Der Konflikt zwischen „Tradition“ und „Moderne“ wird zwangsläufig unterschiedlich bewertet. Der Spielfilm „Banel und Adama“ (Senegal/Mali/Frankreich, 2023) von Ramata-Toulaye Sy schildert ein einfaches Dorfleben, in dem die sozialen Rollen festgelegt sind. Da sich eine Jungvermählte indes dem Traditionszwang nicht fügen, ein eigenes Haus außerhalb des Dorfes bewohnen und ihren Ehemann nicht als Dorfvorsteher mit allen teilen möchte, kommt es zu einer Vielfachkatastrophe. Erneut wird vom Geheimnis des Wassers geflüstert, wird von Sirenen geraunt, die keinen Fisch mehr liefern, der Regen bleibt aus, Öl und Milch werden knapp, Kühe verdursten, zuletzt kündigt sich ein Sandsturm an.
Die ausbleibende Schwangerschaft der Jungvermählten wird als böses Omen interpretiert. Auch hier siegt zuletzt die Tradition, allerdings nun in einem als nicht-emanzipatorisch geschilderten Sinn: Als Männer auf der Suche nach Arbeit das Dorf verlassen, bekennt sich der Ehemann zu der ihm auferlegten sozialen Rolle, gegen die Zukunftswünsche seiner Frau.
Schließlich begegnet dem Publikum in dem Spielfilm „Augure/Omen“ von Baloji Tshiani (DRK/Südafrika/Belgien u.a.) ein Bild des ehemaligen Belgisch-Kongo, wie es als Klischee hierzulande in Umlauf ist: als Land ethnischer Konflikte und Greueltaten, seltsamer Rituale, maßloser Phantasmen und weiterem mehr. Zahlreiche Einstellungen verunklaren deren Status zwischen Abbild und Wahnvorstellung. Der Plot: Ein in Belgien lebender Kongolese kehrt aus Europa in seine Heimat zurück, um eine finanzielle Schuld zu begleichen. Als er kurz nach der Ankunft das Kind seiner Schwester im Arm hält, fallen Tropfen seines Nasenblutens auf dessen Gesicht. Hysterischer Aufschrei: Er habe das Kind mit einem Fluch belegt; in gewaltsamen Ritualen wird er aus der Familie verbannt.
Seine Reise mutiert damit zur Begegnung mit Kindheitstraumata, von der ihn ablehnenden Mutter, die ihrerseits als Hexe verleumdet wird. Begegnungen mit Transen und als Mobutus verkleideten Jungmännern wechseln sich mit Fragen zu Geschlechtskrankheit und Unfruchtbarkeit ab. Düsteren Zukunftsaussichten wird dennoch vorgebaut: Der Vater scheint gegen Ende im Kohlebergwerk unauffindbar verunglückt, ein leerer Sarg wird begraben, damit nicht weitere Geister in Umlauf bleiben.
Zu diesen und anderen Langfilmen gesellen sich Kurzfilme wie etwa „Terra Mater“ (Ruanda, 2023) von Kantarama Gahigiri. Er zeigt Müllhalden, auf denen sich Marabouts und Menschen einfinden, Arbeiter:innen in Orange, die in zeitlupenartiger Bewegung seltene Erden einsammeln. Sätze wie „we demand respect“, „stop high technology“, geflüsterte Namen wie Silicium, Tantal oder Coltan verleihen dem Ort, unter der Anklage des Neokolonialen, gleichwohl ein Flair von Exklusivität.
In Maisha Maenes Kurzfilm „Mulika“ (DRK, 2022) besucht schließlich ein Außerirdischer die Erde. Als eine Art Roboter in glänzendem Metallkostüm läuft er durch die Straßen des kongolesischen Goma, beklagt die Zerstörung des Körpers seines Volkes, eingebaut in Technologie, etwa in Niobium. Sein Ziel: Die Erde zu ändern, den Traum seiner Vorfahren zu realisieren: erneut Zukunft zu erschaffen. Alternative Zukunftsdarstellungen: Was bräuchten wir mehr als eben diese?
Afrikamera: Kino Arsenal, BrotfabrikKino, fsk Kino, Sinema Transtopia, 14. bis 19. November
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen