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Frauen an der Front

In „Kharkiv Calling“ der Berliner Costa Companie erzählen Ukrainerinnen davon, selbst in den Krieg zu ziehen

Von Tom Mustroph

Soldatinnen im Zweiten Weltkrieg hat Swetlana Alexijewitsch mit ihrem Buch „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ ein erschütterndes Denkmal gesetzt. Dem fügt die Berliner Theatergruppe Costa Compagnie nun ein neues Kapitel hinzu. Im ukrainischen Kharkiv interviewte die Gruppe im August 2022 vier ukrainische Frauen, die an die Front gingen. Sie kämpfen gegen die Nachfolgeorganisation derjenigen Armee, zu der Alexijewitschs Interviewpartnerinnen einmal gehörten. Wer heute Aggressor ist, war vor 80 Jahren noch Verteidiger, eine zynische Volte der Geschichte.

Erste der Verteidigerinnen von heute ist Oksana. Kurze blond gefärbte Haare trägt sie. Ihr Gesicht blickt energisch von der Videowand. Mann und Kinder schickte sie in den ersten Kriegstagen in die Sicherheit ins Ausland. „Ein Genderswap“, sagt sie trocken. Jetzt sieht man sie in Uniform an Hausfassaden vorbeilaufen, die schwarz gefärbt sind vom Feuer und aus denen Granaten große Stücke herausgerissen haben. Oksana arbeitet als Presseoffizierin der Armee, sorgt dafür, dass der Krieg ein Gesicht hat, ein männliches zumeist. Denn den Kampf bestreiten vornehmlich die Männer. Das wird aus den Interviews auch klar.

Eine, die selbst kämpft, ist Zhenya. Sie steuert Aufklärungsdrohnen, späht Stellungen der Gegner aus, um sie zu töten. Sie war im Zivilberuf Menschenrechtsanwältin, verteidigte Opfer von Polizeigewalt und brachte, wie sie erzählt, Fälle bis vor den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Jetzt sagt Zhenya, dass sie auf den Strafgerichtshof gut verzichten kann und russische Soldaten, denen sie Verbrechen nachweisen kann, am liebsten höchst selbst tötet.

Sie hat von all den Protagonistinnen den radikalsten Wandel vollzogen. Als Verteidigerin der Schwachen bleibt sie sich aber auch selbst treu. Es berührt und schmerzt, macht zornig und tieftraurig, dass diese Zhenya sogar bei ihren härtesten Aussagen noch immer nachdenklich wirkt, regelrecht durchlässig. An ihrem groß auf die Wand projezierten Gesicht kann man ablesen, was Krieg auch mit denen macht, die für eine sehr gerechte Sache ihr Leben einsetzen und das Leben anderer nehmen.

Sehr klein, nur lebensgroß, taucht Anna Mrachkovska vor und zwischen den Videosequenzen auf. Die junge Schauspielerin führt durch den Abend. Sie beginnt ihn mit einem schrägen Scherz: Was haben Berlin und ihre Heimatstadt Winnyzja gemein? Ein Führerhauptquartier. Tatsächlich errichteten vornehmlich sowjetische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter in einem Wald in der Nähe der Stadt eine solche Bunkeranlage für Hitler. Sie wurden nach Fertigstellung getötet. Zum nationalsozialistischen Kolonisierungsprogramm gehörte auch die Ermordung und Vertreibung der lokalen Bevölkerung und die Ansiedlung von mehreren Tausend Deutschen in der Region. Geschichte macht schaudern.

Mrachkovska fügt mit eigenen biografischen Einsprengseln eine sehr zivile Dimension ein. Sie erzählt von ihren Gewissensbissen, das Land verlassen zu haben, von ihrer Mutter, die sie beim Abschied als „Verräterin“ beschimpfte. Sie erzählt auch davon, dass ihre Eltern lange ihre lesbische Beziehung ablehnten, sie deshalb sogar die Wohnung, die extra für sie in Kyiv gekauft wurde, verlassen musste. Erst der Krieg führte dazu, dass ihre Eltern zwischenzeitlich ihre Partnerin Sofia und deren Familie aufnahmen.

Mrachkovska liefert eine sehr brüchige, fragile und in sich zum Teil widersprüchliche Rahmung der Interviews. Gerade diese Fragilität ist aber eine Stärke. Sie stellt Nähe her und eröffnet den Blick auf die Kriegsfolgen jenseits der Schlagzeilen, großen Erzählungen und auf den Schockreiz setzenden Bilder. „Kharkiv Calling“ beim Monolog-Festival (bis 19. Novermber) am TD Berlin

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