: Sachsens andere Seite
AUSFLUG Am Sonntag wird in Sachsen gewählt, und im Vorfeld bestimmte die rechtsextreme NPD die Bilder von dort. Doch es gibt kulturelle Gegenpole. Sieben gute Gründe, warum man gerade jetzt dorthin fahren sollte
VON KATIA MEADE UND DENIZ TAVLI
Aufmärsche von glatzköpfigen Jugendlichen, rassistische Comics und Dorfstraßen, die gesäumt sind von NPD-Plakaten – das war Sachsen vor der Wahl am Sonntag in den vergangenen Wochen in den Medien. Die Probleme sind augenscheinlich, doch dahinter liegen ganz andere Seiten des Bundeslandes. Eine Spurensuche führt über Irrgärten und Biopasta zu barocken Pomeranzen und Grünen-Abgeordneten, die zum vegetarischen Mittagstisch laden. Ein Blick ins sächsische Hinterland:
Hausgemachte Biopasta kann man im Feinkostladen Pasta Fantastica in Mittelherwigsdorf nahe Zittau genießen. Die Inhaberin, Marina Nemirovsky (42), stellte mit einer kleinen Nudelmaschine ihre eigene Pasta für Familie und Freunde her, bis ihr 2004 die Idee kam, einen Feinkostladen zu eröffnen. „In meinem Herkunftsland Argentinien gibt es viele italienische Einwanderer, weshalb die Pasta dort sehr beliebt ist. Da mir frische Pasta fehlte, habe ich angefangen, sie selbst herzustellen.“ Die Nudelmanufaktur der studierten Psychologin in dem kleinen Ort ist bei Feinschmeckern beliebt. Neben frischen Nudelprodukten werden auch auch Weine, Öle und Delikatessen verkauft. Seit zwei Jahren ist der Laden biozertifiziert. Marina Nemirovsky beschäftigt drei weitere Mitarbeiter im Laden und beliefert regionale Geschäfte, Gaststätten und Hotels mit ihren Nudeln, die pro Kilo zwischen 12 und 14 Euro kosten. Marina Nemirovsky fühlt sich wohl in ihrer kleinen Gemeinde: „Die Natur hier in der Umgebung ist sehr idyllisch, und für mich und meine Familie ist es ein idealer Wohnort.“ Von Glatzen und Naziparolen hört sie nur aus den Medien. „Ich bin in die Gemeinde hier integriert und verstehe mich mit den Kunden und Nachbarn sehr gut“, sagt sie.
Boofen in der Sächsischen Schweiz klingt nach Wandern und irgendwie altmodisch, ist es aber gar nicht. Wandern ist es schon – aber bei jungen Sachsenern durchaus beliebt. Boofen heißt Übernachten im Freien – in leicht zugänglichen Höhlen und Felsvorsprüngen. Die „Freiübernachtungsstellen“ findet man in speziellen Wanderkarten, und im Nationalpark im Elbsandsteingebirge sind sie ausgeschildert. Boofen mit Flachmann, Bockwurst und Kerzen – eine schöne Naturerfahrung in alter sächsischer Tradition.
www.nationalpark-saechsische-schweiz.de
Barockgarten in Großsedlitz: Das weitläufige Gelände südöstlich von Dresden ist seit 277 Jahren in seiner Struktur unverändert. Der pompöse Garten liegt zwischen zwei sich gegenüberliegenden Hängen der Alpen. Neben den architektonischen Besonderheiten auf dem Gelände wie dem Friedrichschlösschen gibt es auch zahlreiche Sandsteinskulpturen, Wasserspiele und vor allem die Orangerien. Das sind beheizte Gebäude, ebenso im barocken Stil gehalten, in denen über die Wintermonate die berühmten Pomeranzen des Gartens überwintern. In über 150 Pflanzenkübeln sind die bitteren Südfrüchte auf dem gesamten Gelände verteilt und verströmen einen exotischen Duft. Im Barock galt Obst aus fernen Ländern als ein Symbol für Reichtum und Wohlstand, weshalb auch Christoph August Graf von Wackerbarth die orange leuchtenden Zitrusfrüchte anpflanzen ließ. Der Barockgarten ist ein beliebtes Ausflugsziel für Radfahrer, die den Elberadweg abfahren.
www.barockgarten-grosssedlitz.de
GoVeggi-Küche: Wer in Bautzen vegetarisch essen gehen möchte, geht ins Café Steinhaus. Dort findet regelmäßig „Literatur zwischen Messer & Gabel“ statt – serviert wird ein Vier-Gänge-Menü der goVeggi-Küche. Am 4. September liest Santrra Oxyd zu tibetischen Teigtaschen, Maissuppe und Shitakepilzen aus dem Buch „Jenseits von Tibet“. Zuletzt hat der Grünen-Parteichef Cem Özdemir zu kostenloser Möhren-Ingwer-Suppe und gefüllten Champignonköpfen auf Pasta mit Salbeisoße eingeladen. Beim „Free lunch with Cem“ wurde über aktuelle Themen diskutiert. Das Steinhaus besticht durch eine lange Geschichte – das Gebäude ist schon über hundert Jahre alt. Früher war es ein Sitz der Hitlerjugend, in den 90er-Jahren ein besetztes Haus. Heute ist es ein soziokulturelles Zentrum: Neben Sozialarbeit, Kulturprojekten und Nichtraucher-Radtouren bietet es auch jungen Bands eine Plattform. Die Gruppe „Café Jazz“ hatte dort ihre ersten Auftritte. Kürzlich sind sie neben Bela B. und den Donots auf einem Musiksampler erschienen: „Kein Bock auf Nazis/ Sachsen Sampler“ soll als Gegenstück zu den NPD-Schulhof-CDs verteilt werden.
Grenzgang Festival: Tschechische und deutsche Jugendliche hatten die Idee, den Grenzübergang zwischen Rumburg (CZ) und Neugersdorf (DE) zu einem Ort der Begegnung zu machen: Der Verein Augen Auf e. V. Oberlausitz organisiert dort zum ersten Mal das Grenzgang Festival. Auch musikalisch werden Grenzen überschritten: Gespielt wird Party Polka, Ska Reggae, Hiphop, Folk und Elektropop. Musikinteressierte können am 11. und 12. September bei tschechischem Bier der Musik lauschen – ein Tagesticket kostet 5 Euro (Wochenendticket 8 Euro). Neben Workshops und Rugbyturnieren lädt das Festival auch zum Bockwurst- und Knödelwettessen ein: Ausgehungert vom Tanzen kann man versuchen, den tschechischen Weltmeister im Knödelessen – mit Eintrag im Guiness Buch der Rekorde – zu schlagen. www.grenzgang.eu
Kino-Menü: Das Programmkino Camillo in Görlitz ist spezialisiert auf deutsche und europäische Produktionen, Dokumentationen und thematische Filmreihen. Cineasten können sich auf goldumrandeten roten Plüschstühlen entspannen. Im Oktober werden im Rahmen eines Filmfestivals Dokumentarfilme zum Thema Macht und Kontrolle gezeigt. Im regulären Programm läuft der italienische Film „Das Festmahl im August“. Kulinarischen Genuss gibt es auch im Kino selbst: Die Camillo Kneipe lockt mit dem Kino-Menü (Vorspeise + Pastagericht + Dessert + Kinokarte) für 14,50 Euro, das auf das Programm abgestimmt wird. So gab es zum Film „Zimt und Koriander“ ein arabisches Drei-Gänge-Menü, bestehend aus Zucchinipaste mit Feta und Oliven, dazu Fladenbrot, Couscous mit Lamm und Gemüse und Yoghurt mit Honig und gerösteten Mandeln. Übernachten kann man in gemütlichen Ferienwohnungen über dem Kino.
Irrgarten Kleinwelka: Nahe dem sächsischen Bautzen kann man sich nicht nur im Heckenlabyrinth des Irrgartens verirren, sondern auch mit der Seilbahn einmal über die 5.000 Quadratmeter große Gartenfläche sausen. Der derzeit größte Irrgarten Deutschlands ist ein beliebtes Ausflugsziel für Schulklassen aus Deutschland, Polen und Tschechien. In mühseliger Eigenarbeit errichtete Familie Frenzel den Irrgarten bereits 1992. Das gesamte Wegenetz des Labyrinths umfasst rund 1,5 Kilometer. Es gibt zwar keine Sackgassen darin, dafür aber 30.720 verschiedene Möglichkeiten, das Ziel in der Mitte zu erreichen.