Gesellschaft: Hass in Hesselbronn
Die Artgemeinschaft ist ein rassistischer Verein mit Nähe zum Rechtsterror. Ein Mitglied war Stephan Ernst, Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke. Auf das bundesweite Verbot des Vereins folgte eine spektakuläre Razzia im 100-Seelen-Dorf Hesselbronn.
Von Timo Büchner
Mittwoch, 27. September 2023, 5.56 Uhr: ein kühler, rauer Morgen in Hesselbronn. Die Stille in dem kleinen Flecken der Gemeinde Kupferzell hat ein jähes Ende. Aus einer Seitenstraße fahren mehrere Kastenwagen ins Dorf. Manche blauweiß mit Polizei-Aufschrift, andere dunkelgrau mit Panzerung. Die Wagen parken am Straßenrand. Rasch steigen Polizist:innen aus. Sie sind vermummt, einige tragen Schusswaffen. Eine Drohne hebt blinkend und summend vom Boden ab. Vor einem beigefarbenen Fachwerkhaus leuchtet das Blaulicht des SEK. Ein Martinshorn geht los. „Hier spricht die Polizei“, sagt eine männliche Stimme über Lautsprecher. Man solle das Haus mit erhobenen Händen verlassen.
An diesem Morgen wird das bundesweite Verbot des rechtsextremen Vereins „Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ vollstreckt. Rund 700 Polizist:innen durchsuchen 26 Wohnungen von 39 Mitgliedern in zwölf Bundesländern. Alleine im hohenlohischen Hesselbronn, wo die einzige Durchsuchung in Baden-Württemberg stattfindet, sind mehr als 100 Polizist:innen im Einsatz, um drei Objekte – ein Wohnhaus, eine Scheune, ein Flurstück – zweier mutmaßlicher Mitglieder zu durchsuchen. Zum Vergleich: In Bayern sind bloß 50 Polizist:innen im Einsatz, um acht Wohnungen zahlreicher Mitglieder zu durchsuchen. Offensichtlich hat die Bluttat vom 20. April 2022, als das SEK eine Pistole des „Reichsbürgers“ Ingo K. in Bobstadt (Baden-Württemberg) einziehen wollte, tiefe Spuren hinterlassen. Damals wurden mehrere Polizist:innen teils schwer verletzt.
Im Rahmen der bundesweiten Durchsuchungen wurden Waffen und Munition sichergestellt. Die Frage, ob Waffen in Hesselbronn beschlagnahmt wurden, lässt die Pressestelle des baden-württembergischen Innenministeriums noch offen. Klar ist: Die Artgemeinschaft, 1951 gegründet, hatte stets eine Nähe zur Militanz. „Mit der ‚Artgemeinschaft‘ bewegen wir uns im Bereich des ideologisch fanatisierten militanten Neonazismus“, erklärt Dr. Christoph Schulze. Er arbeitet an der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus. Um die Gewaltbereitschaft der Gruppe vor Augen zu führen, nennt Schulze den Neonazi Stephan Ernst, der 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) auf seiner Terrasse erschoss. Er war Mitglied der Artgemeinschaft. „Es ließen sich noch viele weitere Beispiele anführen“, ergänzt Schulze.
Die Nähe zum Rechtsterror war in der Ideologie der Artgemeinschaft fest verankert. Der Verein hatte ein „Artbekenntnis“ und ein „Sittengesetz unserer Art“. „Art“ bedeutete „Rasse“. Es hieß, die „Menschen unserer Art“ seien „Menschen nordischer Rasse“ und „fälischer Rasse“. Das knüpft an eine Rassenlehre der nationalsozialistischen und völkischen Bewegung aus dem 20. Jahrhundert an. Das „Sittengesetz“ forderte „gleichgeartete Gattenwahl“ und „gleichgeartete Kinder“. Mehr noch: Es forderte „Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Familie, Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischem Glauben“. So deuteten die Vereinsmitglieder ihre Gewaltbereitschaft zum Schutz der eigenen „Rasse“ an. Wohin die „Wehrhaftigkeit“ führen kann, offenbarte die Ermordung des CDU-Politikers Lübcke.
Schriftführer und Schrifthandel
Mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen, die im Kreise der Artgemeinschaft aufgewachsen sind, betont Schulze: „Es ging um die Erziehung zu Hass und Gewalt.“ Zwar besaß die Artgemeinschaft nur rund 150 Mitglieder. Aber: Laut Schulze war sie eine „wichtige Netzwerkorganisation“ innerhalb der extremen Rechten. Bundesweit verfügte sie über regionale „Freundeskreise“ und „Gefährtschaften“. Insgesamt ist recht wenig über die Aktivitäten des Vereins bekannt. Treffen und Veranstaltungen fanden stets intern und im Geheimen statt. Mit dem Verbot der Artgemeinschaft wurden auch die „Freundeskreise“ und „Gefährtschaften“ verboten.
Zurück nach Hesselbronn: Im beigefarbenen Fachwerkhaus lebt Alexander Donninger mit Frau und Kindern. Donninger ist 43 Jahre alt und Österreicher. Er wohnte lange Zeit im Berchtesgadener Land. Damals soll er in der Kameradschaft Berchtesgadener Land, einer militanten Neonazi-Kameradschaft, aktiv gewesen sein. Erst seit 2020 war Alexander Donninger im Vorstand der Artgemeinschaft. Laut Vereinsregister war er der Schriftführer. Die Artgemeinschaft betrieb einen „Buchdienst“. Im Impressum wurde ein Postfach in Kupferzell genannt. Ob der „Buchdienst“ in Hesselbronn betrieben wurde, ist bislang unklar.
Der „Buchdienst“ verkaufte die „Nordische Zeitung“ – die Mitgliedszeitschrift des Vereins – und zahlreiche Schriften von Wilhelm Kusserow (1901 bis 1983) und Jürgen Rieger (1946 bis 2009). Das waren einflussreiche Funktionäre: Kusserow hatte 1927 die Nordische Glaubensgemeinschaft und 1951 die Artgemeinschaft gegründet. Rieger hatte die Artgemeinschaft von 1989 bis 2009 geleitet und maßgeblich geprägt. 2020 veröffentlichte Schulze ein Buch über Riegers Funktion in der extremen Rechten. Der Buchtitel: „Rassismus in nationalsozialistischer Tradition“. Sein Urteil ist eindeutig: Der Hamburger Rechtsanwalt und NPD-Funktionär war ein fanatischer Rassist.
Die Spuren in der Region
Alexander Donninger ist eine bundesweite Größe der extremen Rechten. Das macht seine regelmäßige Teilnahme am „Trauermarsch“ der Neonazi-Szene anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg deutlich. 2021 und 2022 las er die Namen der bombardierten Städte des Deutschen Reiches vor. Am 11. Februar 2023 trug er eine weiße Ordnerbinde und marschierte mit 1.000 Neonazis durch die sächsische Landeshauptstadt. In Süddeutschland ist er bestens vernetzt. Bereits mehrfach wurden er und seine Autos am „Jugendheim Hohenlohe“ gesichtet. Das „Jugendheim“ ist ein altes Bauernhaus in Herboldshausen (Baden-Württemberg) und seit mehr als 50 Jahren im Besitz des rechtsextremen Bundes für Gotterkenntnis (Ludendorff). Im Haus finden häufig rechtsextreme Veranstaltungen statt.

Ein Auto von Donninger stand zuletzt am 30. Juli 2023 in Herboldshausen. Damals wurde eine Person, die mit einem Auto am Haus vorbeifuhr, angegriffen. Ob Donninger am Übergriff beteiligt war, ist nicht bekannt. Bereits am 4. Dezember 2021 war Donninger in Herboldshausen und nahm an einer geheimen Veranstaltung des Bundes für Gotterkenntnis (Ludendorff) teil. Danach besuchte er eine AfD-Demonstration in Bad Mergentheim (Baden-Württemberg). Das Motto lautete: „Stoppt die Impfdiktatur!“
An der Demonstration nahmen auch seine Schwiegereltern teil – die seit Jahren in der extremen Rechten unterwegs sind. Pikant: Im Prozess gegen den „Reichsbürger“ Ingo K., der wegen 14-fachen Mordversuchs angeklagt ist, wurde bekannt, dass K. mit dem Schwiegervater von Donninger in Kontakt stand. Der Draht zwischen K. und Donningers unmittelbarer Verwandtschaft dürfte ein Grund mehr gewesen sein, über 100 Polizist:innen einzusetzen. Im Gegensatz zum Bobstadter SEK-Einsatz verlief der Einsatz in Hesselbronn ohne Zwischenfälle. Es fielen keine Schüsse, niemand wurde verletzt. Nicht zuletzt, weil Donninger nicht zu Hause, sondern im Ausland war. Das musste die Polizei vor Ort zur Kenntnis nehmen.
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