: Krieg ist schlecht für die Liebe
Saisonauftakt mit radikalem Minimalismus: Guiseppe Verdis „Aida“ in einer Inszenierung des spanischen Regisseurs Calixto Bieito an der Staatsoper Berlin
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Von Katharina Granzin
Es ist natürlich die Frage, wie sich auch der abertausendsten „Aida“-Inszenierung der Musikgeschichte noch etwas Neues abgewinnen lässt. Wenn einer dieser Aufgabe gewachsen ist, so dachte man wohl bei der Staatsoper, dann Calixto Bieito, der schon oft mit grellen, skandalträchtigen, kurz: sexy Opernspektakeln von sich reden machte, und holte sich den Spanier für die erste Premiere der neuen Saison ans Haus.
Nun ist die „Aida“-Geschichte irgendwie offen nach vielen Seiten hin und lässt sich im Zeitalter der postkolonialen Perspektiven auch gut in diesem Sinne ausdeuten. Definitiv ist schon die Entstehungsgeschichte des Werks ohne kolonialen Rahmen nicht zu denken, schrieb Verdi es doch 1870 als Auftragswerk für eine neu zu gründende Oper in Kairo, mit der an westliche kulturelle Traditionen angeknüpft werden sollte.
„Aida“ ist ein Schlüsselwerk des Orientalismus in der Musik. Was aber darin passiert, ist – Orientalismen hin oder her – ein Drama von überzeitlicher Qualität, das ebenso unabhängig ist von dem Ort, an dem es laut Libretto spielt: Ägypten. Ägypten befindet sich im Krieg mit Äthiopien, und das ist schlecht für die Liebe. Aida, die Tochter des Königs von Äthiopien, befindet sich in ägyptischer Gefangenschaft und fungiert als Sklavin der dortigen Prinzessin, Amneris. Beide Frauen lieben denselben Mann, Radames, der, wie es das Schicksal will, vom Pharao als Oberbefehlshaber auserkoren wird, gegen Äthiopien in die Schlacht zu ziehen, und damit gegen Aidas Vater … Danach passiert noch einiges, das Ende ist tragisch, gewonnen hat eigentlich niemand, und auch Religion hat eine ungute Rolle als Kriegsvorwand gespielt.
Die Dramaturgie ist nicht einfach und springt hin und her zwischen Massenszenen und intimen Kammerspielmomenten. Was Bieito tut, um dieses Gefälle einzunorden, ist einigermaßen überraschend: Er inszeniert es einfach so wenig wie möglich und rettet sich in radikalen Minimalismus. Über weite Strecken wird auf leerer Szene eine schlicht konzertante Aufführung geboten, das aber in tollen Kostümen und vor den eindrucksvollen, monumentalen Bühnenhintergründen von Rebecca Ringst. Die Chöre stehen, das ist ja auch prima für den Raumklang, schön verteilt auf der Bühne, statisch und frontal zum Publikum, haben aber jedes Mal etwas anderes an. Optisch besonders originell: der in Plastiktragetaschenstoff gewandete Frauenchor, der wie in einer Schulaufführung albern herumhampeln darf, während im großen Bühnenhintergrund ein Video läuft, worin Frauen in einem Supermarkt einkaufen gehen. (Falls das konsumkritisch gemeint sein soll, wüsste man eigentlich gern, warum diese Kritik ausgerechnet an einer Lebensmittelabteilung aufgehängt wird.)
Wenn gerade keine Massenszenen an der Reihe sind, gilt in der Regel die Devise: Gesungen wird vorn an der Rampe stehend. Das ist sicher angenehm für die Sänger:Innen, die auf diese Weise ungestört ihrer Kernaufgabe nachgehen können. Erst in den letzten beiden Akten kommt mehr Bewegung in die Figurenkonstellationen. Alle anderen Mitwirkenden sowohl in Bühnenpräsenz als auch in stimmlichem Ausdruck überragend, füllt Elina Garanča als Amneris die Bühne sogar ganz allein mit ihrer Verzweiflung, während unsichtbar im Hintergrund die Gerichtsverhandlung gegen den einstigen Kriegshelden, den desertierten Radames, läuft. Garanča zu Ehren sollte diese neue Berliner „Aida“ eigentlich umbenannt werden in „Amneris“. Ohnehin ist die Pharaonentochter die interessanteste Figur im Libretto. Die Titelheldin wurde zum Ausgleich vom Komponisten aber mit viel schöneren Arien versehen. Marina Rebeka als Aida, deren Sopran in den hohen Lagen fliegen zu können scheint, singt diese herrliche Musik einwandfrei, wirkt gleichzeitig aber nicht so, als stünde sie wirklich ganz in ihrer Figur. Bei den Herren ist es vor allem Gabriele Viviani als Aidas Vater, der sängerisch und darstellerisch etwas großes Drama auf die Bühne bringt.
Langweilig wird es in den gut drei Stunden trotz allem nicht, was natürlich auch an Verdis Musik liegt und nicht zuletzt an der Staatskapelle unter Nicola Luisotti, die nicht nur wunderbar den Nil murmeln lässt. Was die Inszenierung betrifft, so überzeugt die diffus antikapitalistische oder antikolonialistische oder whatever Grundhaltung, die durch die Videoeinspielungen im Hintergrund (kenterndes Containerschiff, rennendes Flusspferd, Menschen, die Löwen fangen) behauptet werden soll, als Konzept nicht wirklich. Für den minimalistischen szenischen Ansatz ist man allerdings oft dankbar. Monumentale Ensembleszenen gibt es immer noch genug, und einen Triumphmarsch will kein Mensch heutzutage auf der Bühne sehen. Aber was, zum Teufel, sollen die Clowns?
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