: Kämpfen! Kämpfen! Kämpfen!
Rot-Grün, wir danken dir (9): Plötzlich regt sich das Bockigkeits-Gen. Warum man gerade jetzt ein hundertfünfzigprozentiger Rot-Grüner sein muss
Meine Lust, meine Bilanz über die rot-grüne Bundesregierung zu ziehen, nimmt von Tag zu Tag beträchtlich ab. Rot-Grün ist passé, hören wir von allen Seiten: Im Herbst kommen Merkel und Westerwelle ran, Schröder und Fischer aufs Altenteil. Exakt: bei der Wahl im September. Ja, warum denn dann eigentlich noch wählen?
Ich weiß schon, das ist natürlich ziemlich naiv gefragt, aber können wir uns das Trara nicht sparen, wenn das so klar ist? Ich spüre, da werde ich kämpferisch. Man kann das auch bockig nennen: Diesem Einheitsdenken sollte der Demos einen Strich durch die simple Rechnung machen.
Das Problem ist natürlich, dass nicht jeder dieses Bockigkeits-Gen hat. Und dass es vor allem der rot-grünen Partie in den letzten Jahren gefehlt hat. Die war noch mehr, als dies sonst in linksliberalen Kreisen ohnehin üblich ist, vom neoliberalen Mainstream angesteckt.
Das ist durchaus erstaunlich, wenn man die Sache für einen Augenblick mal nicht politisch, sondern psychologisch betrachtet: Diese Generation, die mit Schröder und Fischer an die Macht gespült worden war, hat sich doch durch eine immense Willenskraft und soziale Fantasie ausgezeichnet; sie hat nicht nur eine ganz andere Welt erträumt, sie hat sich auch mit ungeheurer Kraft hoch geboxt. Aber offenbar reichte die Kraft nur für APO und IPO, Außer- und Innerparlamentarische Opposition. Kaum im Amt, wirkte sie seltsam erschlafft.
Das hat vielleicht damit zu tun, dass sie in der Überzeugung groß wurde, radikale Minderheit zu sein. Die Mehrheit, so wurde ihr seit Kindertagen eingeimpft, tickt anders. Was, wenn ihr diese Überzeugung so sehr zur zweiten Natur wurde, dass sie irgendwie tief im Inneren sicher war, sie dürfte nun, zufällig an die Schalthebeln geraten, diese Mehrheit nicht überfordern? Nur ja nichts Aufregendes tun! Nur ja nicht anecken!
Vielleicht war es aber auch so, dass mit dem Einzug in Kanzleramt und Ministerien etwas so Unerhörtes, eigentlich Unwahrscheinliches geschehen ist, dass sie wussten, ahnten, fühlten, dass ihnen Größeres ohnehin nicht mehr gelingen kann. Wenn schon das Amt die Krönung ist, kann man sich natürlich gleich den Kleinigkeiten widmen.
Gewiss war das Manko von Rot-Grün, dass mit der Übernahme dieses Mantras aus „Steuern runter“, „der Wirtschaft freie Fahrt“ etc., der Überdruss genährt wurde: Wenn alle das gleiche sagen, wird das Politische leer. Wahlen zwischen den großen Volksparteien sind etwa so wie die Abstimmung über die EU-Verfassung: Es wird eine Frage gestellt, aber es gibt nur eine Antwort. Gerade deshalb ist es absurd, diese Absurdität auch noch zu toppen, wie das das aktuelle Setting zweifellos tut: Wir wählen, aber Merkel wird Kanzlerin!
Dies allein reicht, mich wieder zum hundertfünfzigprozentigen Rot-Grünen zu machen.
ROBERT MISIK