: Hohlraum im Erdreich der Stadt
Die Ausstellung „A100 – Operation Beton“ unternimmt eine ästhetische und politische Annäherung an das so umstrittene wie aus dem Alltagsbewusstsein fast verschwundene Autobahnprojekt der A100
Von Tom Mustroph
Steht man auf dem Gelände des alten Rittergutes in Britz mit seinen so feinen wie einst funktionalen Ziegelbauten und lauscht dem Wind, der durch das Laub der Bäume fährt, dann ist das so ziemlich Entfernteste, an das man denken mag, die Autobahn A100. Aber sie ist nur ungefähr zwei Kilometer entfernt, als Tunnelbau des Bauabschnitts 15. Und weil momentan am benachbarten Bauabschnitt 16 weiter gebaut und gebuddelt, in Beton gegossen und mit Asphalt geschmiert wird, hat sich das im Gutshof Britz befindliche Museum Neukölln des Themas angenommen. Die Ausstellung „A100 – Operation Beton“ spannt einen Bogen von der ästhetischen Faszination am Bauprozess zu der rationalen wie emotionalen Ablehnung des gesamten verkehrsplanerischen Projekts.
Der Faszination kann man selbst erliegen, wenn man an der Grenze zwischen Treptow und Neukölln auf die gewaltigen Schneise guckt, die sich da durchs Erdreich schiebt. Teils sind Tunnelwände schon gegossen und der Fahrbahnbelag liegt jungfräulich frisch auf dem Boden. Teils sieht man Armierungsstahl gen Himmel zeigen und der Boden wirkt wegen der vielen Wasserflächen fast wie ein Ozean, in dem sich die Wolken spiegeln. Diese ästhetische Komponente fangen auch die Fotos ein, mit denen die Künstlerinnen Petra Kübert und Christina Zück eine bewusst grau gehaltene Wand im Ausstellungsbereich des Museums bestücken. Von den schieren Dimensionen des menschlichen Eingriffs zeigt sich in einem der begleitenden Interviews auch der Künstler Faucht verzückt, dessen Graffiti bereits manchen A100-Beton verzieren.
Eine andere Art der Faszination, die technologische Hingerissenheit des Ingenieurs, steuert der Leiter des Bauabschnitts 16, Thomas Heyder, bei. Ihn begeistert die Komplexität des Projekts, die sich etwa in der Notwendigkeit zeige, während des Baus Straßenzüge und Trassen für Strom, Gas und Wasser zu verlegen, die sonst durch den unbarmherzigen Hammer des Verkehrsprojekts entzweigedroschen würden. Oder darin, dass Fledermausflughilfen und andere Hilfskonstruktionen für durch den Bau bedrohte tierische Bewohner geschaffen werden müssten.
Die meisten anderen Interviewten, deren Aussagen eine Hörinstallation in der Ausstellung bilden, sind aber alles andere als angetan. Lorena Argüello, die sich als Schamanin aus Honduras vorstellt, beklagt, dass das egalitäre Grün der Kleingartenanlagen der A100 weichen musste. Briti Beneke von der Bürgerinitiative A100 weist auf die lange und letztendlich doch ohnmächtig wirkende Protestgeschichte gegen das Projekt hin. Lukas Popp von der jüngeren Protestgeneration, also der Letzten Generation, steuert den überraschenden Hinweis bei, dass inzwischen Menschen Selfies mit Klimakleber*innen machten und sich offensichtlich darüber freuten, auch mal selbst zu erleben, was sonst nur im Fernsehen komme.
„A100 – Operation Beton“ bietet vielen Standpunkten und Perspektiven einen Raum. Was leider fehlt, ist eine stadträumliche Verortung des Verkehrsprojekts, also schlicht eine Karte. Was man sich auch gewünscht hätte, wären Ansichten dessen, was längst verloren und vergangen ist, welche Biotope, Lebens- und Gestaltungsräume die Betonröhre verdrängt hat. Das Augenmerk liegt auf dem Zwischenreich, das der Bau jetzt schafft. Es handelt sich um einen Hohlraum, noch unfertig, noch unbenutzt, der sich im Erdreich der Stadt ausbreitet und der im Geiste einer alten Technologie geschaffen wird, die allerdings alles andere als hübschen Vintagecharakter hat, sondern ganz mächtigen Einfluss auch auf das eigene Leben.
„A100 – Operation Beton“, Museum Neukölln, bis 24. September
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen