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Archiv-Artikel

Grenzdebiler Spaßpunk

TOTE HOSEN Die Band begeistert ihre Fans in der Waldbühne, Campino singt Zugaben mit der Schauspielerin Birgit Minichmayr im Duett

Die Qualität eines Konzerts muss nicht viel mit der musikalischen Darbietung der Band zu tun haben, so las ich kürzlich. Es ginge vielmehr darum, dass die Zuschauer sich selbstvergessen hingeben könnten. Das Geheimnis des überspringenden Funkens beschreibt genau, warum Toten-Hosen-Auftritte hierzulande nach wie vor als Ausnahmephänomen gelten.

Freitagnacht im Hexenkessel der Waldbühne Wuhlheide versteht sich das Publikum in ebensolcher kollektiver Selbstvergessenheit und frisst dem vor Energie sprühenden Zeremonienmeister Campino und seinen vier rockenden Bandkollegen dankend aus der Hand. Druckvoll und explosiv starten die Toten Hosen ihren zweiten Berlin-Auftritt ihrer durchweg ausverkauften Mach-mal-lauter-Tour mit vorantreibenden Songs wie „Strom“, „Du Lebst Nur Einmal“ oder „Opel-Gang“. Erhitzt mosht die junge Meute in einer Staub- und Dampfwolke vor der Bühne und – mit etwas Sicherheitsabstand dazu – Popo-wackelnde Ältere auf den Tribünen.

Beste deutsche Liveband

Ob Tote-Hosen-Shirts-Träger oder nicht, sie alle scheinen sich einig, dass sie hier die „beste deutsche Liveband“ (ein Titel, mit dem das Quintett bei der Verleihung des Musikpreises „Echo“ bedacht wurde) erleben. Die Toten Hosen, die ihren Anfang vor gut 27 Jahren in der Düsseldorfer Punk- und Hausbesetzerszene genommen haben, sind längst beim Stadionrock angekommen. Und die Hit-Schleuder läuft: „Wünsch Dir Was“ – „Alles Aus Liebe“ – „Steh Auf, Wenn Du Am Boden Bist“ oder „Hier Kommt Alex“. Das Publikum singt sie bis zur letzten Strophe mit.

Es ist durchaus eindringlich, mit welchen generationenübergreifenden Mitmachqualitäten die Band ihre alten Erfolgsnummern auszustatten weiß. In den besten Momenten bietet der Auftritt der Toten Hosen musikalisch bewusst gewählte Einfachheit, nachhaltigen physischen Bühnendruck und eine gewisse Selbstironie. Etwa wenn Rampensau Campino das Berliner Publikum dazu einlädt, durch gekonntes Im-Chor-Nachgrölen „das Niveau der Entertainmentscheiße“ anzuheben. Außerdem tönt man mit „Sascha … Ein Aufrechter Deutscher“ gegen rechts. Demgegenüber stehen wiederholt bedienter Lokalkolorit, pathetische Gefühlsduselei und grenzdebiler Spaßpunk.

Nicht zuletzt zeigt das im ersten Zugabeblock gesungene Duett mit der österreichischen Schauspielerin Birgit Minichmayr die Grenzen der dick aufgetragenen Unterhaltungskünste auf. Da es nicht so klar zwischen Jubel, Trubel und Heiterkeit einzuordnen ist, weiß das Publikum nicht so recht was damit anzufangen. Pfiffe ertönen.

Die Show nach altbackenem Erfolgsrezept lässt wenig Raum für Neuerfindungen. Also schließt die „lange, schmutzige Party“, so O-Ton Campino, mit „Bayern“, „Zehn Kleine Jägermeister“ und „You’ll Never Walk Alone“, Sauf- und Fußballhymnen. SARAH BRUGNER