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„Die bürokratische Distanz ist eine Form der Gewalt“

Eine tansanisch-deutsche Kooperation erforscht in Stade die Sammlung des Botanikers Karl Braun. Diese entstand während seiner Zeit als Kolonialbeamter im östlichen Afrika

Objekte aus der Sammlung Braun Foto: Museum Schweden­speicher

Interview Petra Schellen

taz: Frau Steinkampf, woher stammen die kolonialen Bestände der Stader Museen, die Sie derzeit im tansanisch-deutschen Team erforschen?

Lea Steinkampf: Es ist eine Sammlung von fast 600 Objekten, die der Botaniker Karl Braun zusammengetragen hat. Er war von 1904 bis 1920 in der damaligen Kolonie „Deutsch-Ost­afrika“, dem heutigen Tansania, im Amani-Institut tätig.

Was war das für eine Einrichtung?

Es wurde 1902 als eins der einflussreichsten botanischen Institute des Deutschen Kaiserreichs gegründet – als Konkurrenz zum niederländischen botanischen Garten auf Java. Im Fokus stand die Erforschung von Tropenkrankheiten, Flora und Fauna. Man baute Pflanzen aus aller Welt an, entwickelte für die EuropäerInnen Malaria-Medikamente aus Chinin, experimentierte mit Kaffee-, Sisal-, Baumwollplantagen – immer mit dem Ziel, die Kolonie auszubeuten und sich das Wissen der Einheimischen anzueignen. Als die Kolonie 1918 britisch wurde, forcierte man die medizinische Forschung. Heute wird das Institut vom National Institute for Medical Research unterhalten.

Wie kam Brauns Sammlung ausgerechnet nach Stade?

Das ist eher Zufall. Braun stammte eigentlich aus der Nähe von Wiesbaden. Nach seiner Zeit am Amani-Institut – er musste die inzwischen britische Kolonie verlassen – wurde er nach Stade versetzt, um das neue Forschungszentrum für Obstbaumkrankheiten der Biologischen Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft zu leiten. Es ging um die nahen Apfel­plantagen des Alten Landes. 1934, ein Jahr vor seinem Tod, schenkte er seine Sammlung der Stadt. Da es in Stade kein ethnografisches Museum gab und gibt, fühlte sich niemand recht zuständig. Man lagerte die Sammlung schließlich im Depot des 1977 gegründeten stadthistorischen „Schwedenspeichers“ ein. Wiedergefunden hat man die Sammlung 2014 bei Renovierungsarbeiten. Es sind zwei originale, an Braun adressierte hölzerne Versandkisten und ein Koffer.

Was ist drin?

Instrumente, Haushaltsgegenstände wie Löffel und Schalen, landwirtschaftliche Geräte und einige wenige Waffen. Auch halbfertige Flechtkörbe, die den Fertigungsvorgang zeigen, sowie Textilien finden sich. Der Fokus lag auf Verarbeitungstechniken und Materialien. Hier traf sich Brauns Privatinteresse mit seiner Forschung am Institut zu faserliefernden Pflanzen.

Wie kam er an all diese Objekte?

Er ist viel in der Kolonie gereist und hat sie großteils auf Märkten gekauft, einige auch von kolonialen Akteurinnen und Akteuren bekommen. Wie das im Einzelnen vor sich ging, erforschen wir gerade, und die Quellenlage ist sehr gut: Braun hat akribisch Tagebuch geführt, hat Kauf, Ort, eine ethnische Zuschreibung sowie den Preis notiert.

Hat er sich auch Dinge gewaltsam angeeignet?

Bis jetzt konnten wir das nicht nachweisen. Ob Braun bei den Käufen allerdings immer einen angemessen Preis gezahlt hat und wie sie im Kontext des kolonialen Unrechtssystems zu bewerten sind, kann ich noch nicht sagen. Das ergründe ich gerade gemeinsam mit meinem Team, zu dem auch zwei tansanische Anthropologen vom National Institute for Medical Research gehören, der Nachfolge-Organisation des Amani-Instituts. Unser vom „Deutschen Zentrum Kulturgutverluste“ gefördertes, gemeinsames „Amani-Stade-Projekt“ ist 2022 gestartet und auf zwei Jahre angelegt. Jetzt ist quasi Halbzeit, daher auch der jetzige Vortrag aller Beteiligten zu den Zwischenergebnissen.

Foto: privat

Lea Steinkampf

32, Kuratorin, erforscht in Stade die Sammlung Karl Braun und die Rolle des Amani-Instituts während der deutschen Kolonialzeit in Tansania.

Welchen Part spielen Sie in dem Projekt?

Ich bin für die Projektkoordination und bisher vor allem für die Archivarbeit zuständig. Das bedeutet einerseits, dass ich Brauns Stader Inventarbuch durchsehe, das 130 der etwa 580 Objekte verzeichnet. Andererseits arbeite ich seine rund 80 Tagebücher aus dem Familienarchiv des Museums der Kulturen Basel durch, wo Brauns Familie eine Zeit lang lebte. Wobei sich die Wege der Sammlungsobjekte auch deshalb gut nachzeichnen lassen, weil Braun mit Querverweisen zwischen Inventarliste und Tagebuch gearbeitet hat.

Wie äußert sich Braun im Tagebuch über die Einheimischen in der Kolonie?

Er war ein Mensch seiner Zeit und hegte großes Misstrauen gegenüber den Einheimischen. So erwähnt er, dass es am Institut ein Notfallsystem gegen Aufstände der Einheimischen gab. Es lagen immer Schusswaffen bereit. Wobei der größte koloniale Widerstandskrieg ja nicht im Umfeld des Amani-Instituts stattfand, sondern im Süden der damaligen Kolonie. Dort begann 1905 der von Kolonialtruppen blutig niedergeschlagene Aufstand der Einheimischen, der in den Maji-Maji-Krieg mündete.

Hat Karl Braun davon etwas mitbekommen?

„Seinem Tagebuch zufolge hat er Hinrichtungen beigewohnt und sie gutgeheißen. Zugleich findet sich eine Romantisierung der Landschaft“

Ja. Er war 1906 im Süden, in Lindi und Kilwa – dort, wo der Maji-Maji-Krieg stattfand. Seinem Tagebuch zufolge hat er einigen Hinrichtungen der sogenannten Aufständischen beigewohnt und sie gutgeheißen. Zugleich findet sich in seinem Tagebuch – eine verbreitete Ambivalenz – eine Romantisierung der dortigen Landschaft. Gleich daneben dann die Beschreibung ziviler Opfer des Krieges: hungernder Menschen.

Wie beschreibt Braun diese Opfer?

Weder mit Empathie noch mit Abwehr, sondern scheinbar teilnahmslos, sachlich-distanziert. Diese bürokratische Distanz ist für mich eine Form der Gewalt. An anderer Stelle äußert er sich abfällig über Aussehen, Geräusche, Essensgerüche in den Vierteln der Einheimischen. Allerdings ist es – auch – für dieses internationale Provenienzprojekt sehr hinderlich, dass alle Quellen auf Deutsch verfasst sind. Daher werden wir so schnell wie möglich versuchen, wenigstens eine Übersicht der Archivbestände ins Englische zu übersetzen.

Vortrag (engl./dt.) mit Peter Mangesho, Sebastian Möllers, Mohamed Seif und Lea Steinkampf, Stade, Schweden­speicher, 26. 7., 19 Uhr

Welchen Part spielen die beiden tansanischen Kollegen, Peter Mangesho und Mohamed Seif, in dem Projekt?

Erstens haben wir, um keine kolonialen Strukturen zu wiederholen, mit dem „Deutschen Zentrum Kulturgutverluste“ vereinbart, dass ein Teils des Budgets in Tansania verwaltet wird. Somit sind die Kollegen nicht bei einer deutschen Institution angestellt, sondern bei einer tansanischen. Inhaltlich werden sie im Umfeld des Amani-Instituts mehrere Feldforschungs-Einheiten durchführen, um einerseits Erinnerungen an Nachwirkungen der deutschen Kolonialzeit zu erfragen – für die es aufgrund des zeitlichen Abstands keine ZeitzeugInnen mehr gibt. Außerdem werden die tansanischen Kollegen versuchen, die Bedeutung einiger Braun’scher Objekte zu erfragen. Rätselhaft sind zum Beispiel einige mit Gegenständen gefüllte Hörner, die eventuell spirituellen Zwecken dienten.

Sie zeigen den Einheimischen die originalen Braunschen Objekte?

Leider nein, denn sie liegen in Deutschland in Depots. Die beiden tansanischen Kollegen verwenden Fotos für ihre Feldforschung. Das ist keine gute Situation, die auch schon zu Missverständnissen geführt hat. Das Ziel wäre, die Objekte entweder als Dauerleihgabe nach Tansania zu bringen oder – auch dazu sind die Museen Stade bereit – zu restituieren. Dafür brauchen wir aber die Kooperation mit dem Nationalmuseum in Dar es-Salaam. Dessen MitarbeiterInnen sind derzeit durch die Kooperationsverhandlungen mit anderen Museen ausgelastet, sodass wir mit ihnen bislang nur im Rahmen eines Workshops sprechen konnten, der im Februar diesen Jahres vom Goethe-Institut in Dar es-Salaam ausgerichtet wurde.

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