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Freiheit dank Beschränkung

Atmende Spurensuchen, kontinentale Klischees und Kinder hinter Teigfladen-Masken: Braunschweigs Museum für Photographie widmet sich in diesem Sommer dem Fotobuch

Von Bettina Maria Brosowsky

Eine ganz eigene Gattung des gebundenen Druckwerkes ist das Fotobuch: Mit seinem hohen künstlerischen, mitunter auch literarischen Anspruch, häufig ausgefallen gestaltet, etwa durch Materialwechsel der Seiten, eingebundene Sonderelemente oder ausklappbare Formate, ist es aus Sicht von Ver­le­ge­r:in­nen durchaus eine heikle Sache. Oft erscheint es deshalb im Eigenverlag, und wohl noch öfter kommt es über einen Prototyp, den Dummy, erst gar nicht hinaus. Häufig ist das Fotobuch die gewählte Form einer Abschlussarbeit an entsprechenden Kunsthochschulen.

Diese Beschränkungen eröffnen aber auch Freiheiten, etwa das Buch nur als Zwischenergebnis der Arbeit oder Grundlage einer Ausstellung zu betrachten. Das ist beispielsweise ja das Generalthema des Kunsthauses Göttingen, gegründet und betrieben vom Verleger Gerhard Steidl: Er gibt durchkomponierte Objekte rund um den Kunst- oder Fotoband heraus, sogenannte Multiples, bis hin zu Unikaten mit variierenden Einbänden. Mit Sekundärkonstruktionen wie Boxen, Holzgestellen oder Wandgesimsen lassen sich daraus winzige bis raumgreifende Buch-Installationen kreieren; das wird regelmäßig im Kunsthaus demonstriert.

Eine Nummer kleiner, frischer, jünger zeigt gerade das Museum für Photographie in Braunschweig verschiedene Projekte rund ums Fotobuch: Das Sommerprogramm versammelt in seiner Gruppenausstellung „Book_Spaces“ Arbeiten von sieben internationalen Fotokünstler:innen, dazu liegen, in einer benachbarten Leerstandsimmobilie, weitere Bücher von 14 Studierenden aus Hannover und Dortmund zum Durchschauen bereit: die „First Pages“.

Um nur einiges herauszugreifen: Der Portugiese Pedro Guimarães, Master der Fotografie, ist Mitbegründer eines Verlages für Foto- und Künstlerbücher. Sein Ausklappbuch „Rato, Tesoura, Pistola“ – zu Deutsch: „Maus, Schere, Gewehr“ – wie auch die Wände seines Ausstellungsraumes kombinieren Zeichnungen seiner zwei Kinder mit Fotografien ihrer Spiele, etwa mit vorgehaltenen Masken aus dünnen Teigfladen, die anschließend mit Zucker und Nutella gegessen werden. Eine große Installation mit skurrilen Asiatika, Fotos und Videoarbeiten, die zudem noch durch Performances aktiviert werden, widmet die in Hamburg lebende Hien Hoàng ihrer verstorbenen Tante, die als vietnamesische „Vertragsarbeiterin“ in Ost-Berlin lebte. Ihr Buch „Asia Bistro“, 2022 auf der Shortlist des Kassel Dummy Award, nimmt dazu Stereotype und Verallgemeinerungen unter die Lupe, wie sie sich gerade in der deutschen Rezeption von „Asiatischem“ zeigen.

Kategorisierungen und Zuweisungen reflektiert auch Sarai Meyron in ihrem Buch „Keine wärmenden Worte“: In Jerusalem in eine jüdisch-arabische Familie geboren, in den USA aufgewachsen und Absolventin der Freien Kunst an der Braunschweiger Hochschule, geht sie in einem „atmenden Archiv“ den Spuren ihrer Vorfahren in Deutschland nach. Die lassen sich zurückverfolgen bis zu einem Mitbegründer der liberal-jüdischen Gemeinde in Braunschweig, spiegeln sich in bürokratischen Verfahren zur Wiedergutmachung wider, aber auch in Erwartungshaltungen, so Meyron: dahingehend, wie sie über ihre Geschichte überhaupt sprechen dürfe. Neben ihrer Foto-Installation im Garten des Museums befragt sie aktuell gemeinsam mit ihrer portugiesischen Studienkollegin Rita de Matos in Braunschweigs Dom und Landesmuseum mittels multimedialer Arbeiten die großen Religionen zu ihren Disziplinierungs-, Politisierungs- und Militarisierungstendenzen – Titel: „Believe in me“.

Der Däne Mads Holm, Absolvent und Lehrender der Königlichen Akademie der Künste in Den Haag, erobert sich gleich die ganze Braunschweiger Innenstadt als Ausstellungsfläche: 15 Fotos aus seinem 2021 erschienenen Buch „HRTLND“ sind zu einem drei Kilometer langen, sehr pointiert gesetzten Parcours im öffentlichen (Un-)Raum arrangiert. Auch Holm geht es um die Militarisierung unserer Gesellschaft, so das von der Realität abgekoppelte Bild des Krieges in Museen oder der Unterhaltungsindustrie.

Als Metapher dienen Holm etwa Recherchen in Schnöggersburg, Sachsen-Anhalt, Europas größtem, von der Bundeswehr betriebenem Übungsort für den Stadt- und Häuserkampf: Das mehrere Quadratkilometer große Gelände bietet in gut 500 rohen Betonbauten Altstadtdichte, Hochhäuser, ­Sakral- und Regierungsbauten, ein Stadion, ein „Elendsviertel“ samt kaputter Infrastruktur, Flugpiste, Wasserlauf, ein Stück Autobahn oder einen U-Bahn-Abgang. Dort können kriegerische Konflikte, die sich weltweit zunehmend in urbane Situationen verlagern, simuliert und militärisches Training absolviert werden. Nach jahrelangen Protesten ist es ruhig geworden um die Anlage; Krieg derweil seit 500 Tagen wieder europäische Wirklichkeit.

Book_Spaces: Museum für Photographie; First Pages: Helmstedter Straße 170;

Rita de Matos, Sarai Meyron: Believe in me, Landesmuseum Hinter Aegidien und Braunschweiger Dom, alles bis 10. 9.

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