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wortwechselFortschrittsfalle erwischt Sündenböcke: die „Boomer“

Die Kinder des kapitalistischen Fortschritts haben eine Stinkwut auf ihre alten egoistischen Vorfahren. Keiner will schuld sein an der Klimakatastrophe. Nur ein Generationskonflikt?

„In verschiedenen Welten. Das allgegenwärtige Krisen-Narrativ belastet jüngere Menschen mehr als ältere. Kein Wunder, sitzen viele von denen doch oft in ihren abbezahlten Eigenheimen“,

taz vom 6. 6. 23

Kllima bedroht alle

Hallo Herr Lobe, ich finde die Schwarz-Weiß-Malerei in Ihrem Artikel ziemlich unerträglich und ausgesprochen kontraproduktiv. Die jetzige Klimabedrohung betrifft uns alle – Jung und Alt.

Ich gehöre der Generation Kriegskinder an, geboren 1944. Und glauben Sie mir, ich schwimme nicht im Geld (alleinerziehend, kleine Rente).

Bereits in den 1970er/80er Jahren habe ich in Vereinigungen und auf Demos gekämpft für Gerechtigkeit zwischen den Menschen und den Völkern, für Umweltschutz und Anerkennung von anderen Lebensformen. Ich habe gekämpft gegen Atomkraft, ich habe demonstriert gegen NPD und Nazis und unterzeichne Bienen-Volksentscheide.

Ich weine über den entsetzlichen Krieg in der Ukraine. Eigene Kriegstraumata werden wach. Ich bin eine Alte!

Und da kommen Sie mit so einem blöden Satz: „Haben die Alten nicht kapiert, dass uns Jungen die Zeit davonrennt“? Sagen Sie bitte den „Jungen“, für die Sie sprechen wollen, dass es außer Work-life-Balance, 4-Tage-Arbeitswoche, Homeoffice am Pool und Im-Netz-Streamen noch viele wichtige Dinge gibt, für die es lohnt, sich einzusetzen. Ich wünsche Ihnen eine lebendige Zukunft! Irene Ising

Wenn sich nichts ändert

Ich teile die Darstellung von Adrian Lobe – aber nur unter der Voraussetzung, dass sich in Deutschland und Europa sozial und klima-ökonomisch nichts ändern wird. Klar, es gibt die RentnerInnen, die regelmäßig ihre Kreuzfahrten machen. Aber genauso gibt es viele junge Leute, die intensiv fliegen. So kommt man nicht weiter, denn ich kenne mehr RentnerInnen, die sich weder ein Auto noch eine Kreuzfahrt, noch einen Urlaub leisten können. Und das auch schon vor dem Ukrainekrieg. Adrian Lobe vergisst, dass es auch in den 70er und 80er Jahren erhebliche Zukunftsängste gab: Der Kohlebergbau wurde eingestellt, die Werften abgebaut, eine große Arbeitslosigkeit war die Folge. Damit einhergehend waren die Renten niedrig. Eine Jugendkultur unter dem Motto „no future“ resignierte. Die Friedensbewegung (Kalter Krieg, Mittelstreckenraketen) und Umweltschutzbewegung (Atomkraft, saurer Regen, Ozonlöcher) kämpften gegen verkrustete Strukturen und gegen eine an Profit orientierte Industrie. Jeannette Kassin, Hamburg

Und taz.de schreibt …

Ich bin Jahrgang 1982, meine Mutter war alleinerziehend, mit finanzieller Unterstützung sah es immer ziemlich mau aus und mit einem Erbe muss ich nicht rechnen. Auf ein tolles Beziehungsnetzwerk kann ich logischerweise auch nicht zurückgreifen. Aber ich habe als Kind von meiner Mutter und meinen Großeltern eine sehr positive Lebenseinstellung mitbekommen. Ich habe gelernt, dass man durch Bildung, Arbeit, einen gewissen Ehrgeiz (und auch etwas Glück) viel erreichen kann. Ich habe auch keine übermäßige Angst vor der Zukunft. Ganz im Gegenteil, ich verstehe solche Artikel nicht und ich glaube, hier wird ein bestimmter Teil meiner und der folgenden Generation viel zu wichtig genommen. Ich hoffe sehr, dass nur bei einer Minderheit so viel schiefgelaufen ist, dass sie solche Zukunftsängste hat. Und was den Ressourcenverbrauch anbelangt, sind wir Jungen (leider) auch kaum besser als die Boomer: Fernreisen, Kurztrips, immer neue technische Geräte … Dark_Matter auf taz.de

Ich dachte degrowth, grünes Schrumpfen, und ein Bruttosozialprodukt von 1978 wäre die Lösung? Und jetzt Gejammer über das Weniger? Querbeetleser

die heuchlerischen, zynisch-egoistischen babyboomer haben dann wohl aus lauter langeweile die masse der friedens- und umweltbewegung der 1980er gestellt. und 1952 in london – „the great smog“ – da haben die damals 6-jährigen babyboomer london so richtig eingeräuchert, 12.000 tote haben diese kleinen egoisten zu verantworten. in den rhein pinkeln ja auch nur die alten heuchlerischen säcke. wie ist der wieder sauberer geworden? müssen wohl die millennials und generation z via zeitreise gewesen sein. Alterverwalter

Generationen aller Länder – vereinigt euch!

Es stimmt nicht, dass ich als Kind, als Jugendliche oder jemals später das Gefühl hatte, das Schlimmste läge hinter mir. Ich dachte vielmehr ebenfalls, das Schlimmste komme noch auf mich zu. Ich habe mit vollem politischem Bewusstsein den Bau der Berliner Mauer, die Kubakrise, diverse andere Kriege und Beinahe-Kriege mitbekommen. Als Kind dachte ich nicht, dass ich das Jahr 2000 erleben würde. Ich wünschte mir, falls die Atombombe fällt, wenigstens gleich tot zu sein und das darauf folgende Elend nicht mitzuerleben. Nein, dies ist kein Versuch, Mitleid zu heischen oder mich aus der Verantwortung zu drücken. Aber es wurde über diese Ängste nie gesprochen – und das hat sich nicht geändert. Ich habe Kinder und Enkel. Ich wünsche mir, wir könnten zusammen mit jungen Menschen analysieren, warum wir unsere Ziele nicht erreicht haben, damit unsere Fehler nicht wiederholt werden müssen.

Petra Sieger, Helmstadt

Lieber Adrian Lobe, ich kann Ihren Zorn gut verstehen. Ihr pauschales Verurteilen einer ganzen Generation, „der Alten“, finde ich jedoch ungerecht. Vertreter/-innen der Boomergeneration haben weitgehend unsere Zivilgesellschaft aufgebaut. Etliche Aktive haben auf sichere, gut bezahlte Job verzichtet oder Strafanzeigen riskiert – wie beim AKW-Protest im Wendland. Lebensleistungen jenseits von Karrieremachen und Häuslebauen hat es also auch gegeben. Die Anhänger/-innen der Weiter-wie-bisher-Haltung in Sachen Klimaschutz gibt es in allen Generationen. Schaffen wir einen generationenübergreifenden Pakt aller Willigen für die Zukunft! Beate Bänsch-Baltruschat

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