: Hamburg untersucht Antisemitismus im Alltag
Eine Dunkelfeldstudie soll klären, wie weit Judenhass verbreitet ist. Besonderes Augenmerk soll auf Vorfälle unter der Strafbarkeitsgrenze gelegt werden
Von Franziska Betz
Wie weit verbreitet ist Antisemitismus in Hamburg? Und welche Formen gibt es? Diese Fragen soll eine Dunkelfeldstudie klären, die Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) und der Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Hamburg sowie der Hochschule der Polizei in Hamburg und der Polizeiakademie Niedersachsen am Donnerstag vorgestellt haben.
„69 antisemitische Straftaten in den extremistischen Phänomenbereichen“ sind laut Gleichstellungsbehörde im Jahr 2021 in Hamburg erfasst worden. Eine Häufung gibt es laut der Behörde im rechten Spektrum. Bei vielen Taten lassen sich Täter*innen und Motive aber nicht ermitteln.
„Bisher gibt es nur lückenhafte Erkenntnisse zu der Verbreitung und den Formen von Antisemitismus in Hamburg“, sagte Katharina Fegebank zu Beginn der Pressekonferenz. Es sei zudem wichtig zu erfassen, was außerhalb des strafrechtlich relevanten Bereichs geschehe, ergänzte der Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel. Deshalb handele es sich bei der neuen Studie auch um eine Dunkelfeldstudie, die nicht so sehr offene Angriffe, sondern verdeckten Antisemitismus in den Blick nehmen wolle.
Ungewöhnlich ist deshalb, dass sich ausgerechnet zwei Polizeihochschulen – aus Hamburg und Niedersachsen – nun in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde mit dem Thema befassen, zumal es in der Studie nur um Hamburg gehen soll. Die Hochschulen hatten jedoch auch schon beim Projekt „Hate Town“ gemeinsam zu „vorurteilsgeleiteten Handlungen in urbanen Räumen“ geforscht, in dieser Studie aber wenig Rücklauf aus der jüdischen Community erhalten, wie Studienleiter Joachim Häfele berichtete.
Ziel der neuen Studie ist es zu erfahren, in welchem Ausmaß Hamburger Jüdinnen*Juden im Alltag Antisemitismus erfahren. Zudem soll gefragt werden, warum Jüdinnen*Juden sich oft nicht als solche zu erkennen geben. Hensel berichtete am Donnerstag unter anderem von Jugendlichen, die in der Schule nicht wollen, das öffentlich wird, dass sie jüdisch sind.
Die Studie will auch fragen, wie Betroffene den Umgang der Sicherheitsbehörden mit antisemitischen Übergriffen wahrnehmen, welche Maßnahmen gegen Antisemitismus aus Sicht der Betroffenen getroffen werden sollten und warum viele Menschen, obwohl sie die Aufnahmekriterien der Jüdischen Gemeinde Hamburg erfüllen, nicht Teil der Gemeinde sind. Mauricio Dessauer von der Jüdischen Gemeinde Hamburg merkte dazu an, dass die Jüdische Gemeinde Wuppertal etwa gleich viele Mitglieder habe wie seine Hamburger Gemeinde, obwohl die Stadt deutlich kleiner ist.
Geplant ist eine quantitative Erhebung per Fragebogen. Dieser werde in einem „partizipativen und transparenten Verfahren“ in Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Hamburg erarbeitet, sagte Studienleiterin Eva Groß. Befragt werden sollen möglichst alle Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Hamburg. Diese sollen dann per „Schneeballverfahren“ einen Link zur Studie an Menschen aus ihrer Community weitergeben. So sollen auch Menschen erreicht werden, die nicht Teil der Gemeinde sind. Öffentlich soll der Link aber nicht zugänglich sein, um zu verhindern, dass Menschen teilnehmen, die nur „gefühlt jüdisch“ sind, sagte Hensel.
In Hamburg gibt es neben der auch als Einheitsgemeinde bezeichneten Jüdischen Gemeinde Hamburg den Israelitischen Tempelverband mit gut 350 Mitgliedern, der für sich beansprucht, das liberale Judentum zu repräsentieren. Dass der Israelitische Tempelverband nicht Teil der Studie sein wird, begründete Hensel damit, dass die Einheitsgemeinde mit ihren gut 2.500 Mitgliedern „der größte Player in der Stadt“ sei, zudem eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und außerdem das gesamte Spektrum des Judentums abdecke.
In der Einheitsgemeinde gibt es neben orthodoxen Jüdinnen*Juden auch eine liberale „Reformsynagoge“. Auch atheistische Jüdinnen*Juden seien Teil der Einheitsgemeinde, ergänzte Dessauer, der betonte, dass die Einheitsgemeinde nur eine „Verlegenheitslösung“ und eine Folge der Shoah sei.
Häfele sagte, bei anderen Studien gebe es oft eine geringe Rücklaufquote, auch dies sei ein pragmatischer Grund, sich auf eine Gemeinde zu beschränken, da es so besser möglich sei, eng mit dieser zu arbeiten.
Beginnen soll die Befragung im November 2023. Die Ergebnisse, die im Frühjahr 2024 erwartet werden, sollen helfen, „effektive Strategien zur Bekämpfung von Antisemitismus zu liefern,“ sagte Fegebank.
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