Ausstellung in Itzehoe: Öffnungen und Erweiterungen

Trotz Nachbarschaft hierzulande fast unbekannt geblieben: Die niederländische KünstlerInnengruppe „De Ploeg“, 1918 gegründet und noch heute aktiv.

Männer in Anzügen feiern

Die „De Ploeg“-Mitglieder feiern nach der Eröffnung ihrer ersten Ausstellung (Februar 1919) Foto: Foto: Groninger Museum, Archiv Cees Hofsteenge

Praktischer Nutzen und ländliche Erdung werden angestrebt, nennt sich eine neue Gruppe „De Ploeg“ (niederländisch „Der Pflug“): 1918 gründeten in Groningen fünf Künstler einen Verein mit aktiven und passiven Mitgliedern, ähnlich wie es die berühmt gewordene expressionistische Künstlergruppe „Brücke“ von 1905–13 in Dresden und Berlin vorgelebt hatte. Mit vielleicht ja friesischem Pragmatismus beackerten sie das Kunstfeld; nicht, um einem strengen Manifest zu folgen oder einen gemeinsamen Stil zu erzwingen – und schon gar nicht auf der Suche nach der Revolution.

Wahrscheinlich ermöglichte gerade ihre undogmatische Offenheit, dass die Gruppe bis heute besteht und eine eigene Abteilung mit einer Sammlung von inzwischen 2.000 Arbeiten im Kunstmuseum von Groningen hat. Auch wenn der Expressionismus der wesentliche Ausgangspunkt war, entwickelten die KünstlerInnen der Gruppe jeweils eigene Ausdrucksformen vom Spätimpressionismus bis zu konstruktiven Tendenzen.

Zu überprüfen ist das derzeit im schleswig-holsteinischen Itzehoe. Das dortige Wenzel-Hablik-Museum richtet so den Blick auf eine – trotz Nachbarschaft – in Deutschland bisher weitgehend unbekannte Szene der Zwischenkriegszeit. Es geht vom stilprägenden frühen Kontakt mit „Brücke“-Gründer Ernst Ludwig Kirchner in Davos einerseits zu typischen Caféhausmomenten andererseits; und zu ruhigen Stimmungsbildern der schon van Gogh faszinierenden flachen Landschaft der Provinz Drenthe mit ihren weiten Wiesen und einsamen Katen, den Grachten und Radfahrern.

Um Frieden flehende Geste

Im Bestreben des „Ploeg“, alle Bereiche des Lebens für die Kunst urbar zu machen, findet sich auch eine, oft dem Konstruktivismus sich annähernde Objekt- und Möbelgestaltung – inklusive eines bemaltes Bierfasses. Der stilisierende Japonismus wird rezipiert, genauso die magische jüdische Mystik. Und nicht verschwiegen werden darf, dass einer der Künstler unter der deutschen Besatzung von der Gestapo ermordet wurde.

Durch die Praxis des gegenseitigen Porträtierens können sich am Anfang der Ausstellung die Akteure sozusagen selbst vorstellen: Jan Altink, Johan Dijkstra, George Martens, Alida Pott, Jan Wiegers und Hendrik Werkman. Im weiteren Rundgang zu den rund 100 Arbeiten geht es von Skizzen, die Wiegers 1920 anlässlich seines Schweizer Kuraufenthalts anfertigte, bei dem er auch Kirchner kennenlernte, über die von allen Mitgliedern gerne genutzte Technik des Holzschnitts zu Stadt- und Landschaftsgemälden in unterschiedlichen Expressionsgraden.

„Avantgarde in den Niederlanden – Die expressionistische Künstlergruppe De Ploeg“: bis 29. 5., Itzehoe, Wenzel-Hablik-Museum

Besonders beeindruckend ist die Begeisterung Werkmans für die von Martin Buber überlieferten chassidischen Legenden: Aus Interesse und Empathie für die unter der deutschen Besatzung verfolgten Juden erstellte er einen oft aus Schablonenbruchstücken zusammengesetzten zehnblättrigen grafischen Zyklus. Die enthaltenen Bildmotive können noch heute als um Frieden flehende Geste verstanden werden. Vor allem diese Bilder brachten dem Künstler noch wenige Tage vor der alliierten Befreiung 1945 den Tod – wegen „Verdachts auf subversive Aktivitäten“.

Im ersten Stock der Ausstellung ist eine Begegnung mit den Namensgebenden des Museums inszeniert, Wenzel Hablik (1881–1934) und Elisabeth Hablik-Lindemann (1879–1960). Trotz zeitlicher Differenzen gibt es Verbindungen: Denn das Gesamtkunstwerk – möglichst komplett neu durchgestaltete Lebenswelten – war auch „De Ploeg“ wichtig. Und so treffen sich hier ganze Einrichtungsentwürfe, einzelne Möbel, rhythmische Stoffmuster und exzentrischer Schmuck, zarte Aktdarstellungen und interstellare kosmische Visionen.

Greta Kühnast, neue Direktorin des 1995 eröffneten Museums, öffnet mit dieser Ausstellung nicht nur den Blick zu bisher übersehenen Kunstbewegungen, sie geht auch das Auftreten des historischen Hauses gleich neben dem Itzehoer Rathaus mit neuem Elan an. So ließ sie die bisher zwecks vermeintlich größerer Konzentration verdeckten Fenster öffnen. Auch die Ansprache des Publikums hat man erweitert: Erstmals gibt einen Audioguide in Deutsch oder Englisch – und, was für den Süden des nördlichsten Bundeslandes eher ungewöhnlich ist, auch in Dänisch.

Wenzel Hablik und Elisabeth Hablik-Lindemann sind in der Region weiterhin stark verankert: Es werden gelegentlich noch von ihnen gestaltete Objekte aus Privathäusern ins Museum gebracht, und auch die Itzehoer Villa der beiden – mit teils originaler Einrichtung und Ausmalung – ist in Privatbesitz erhalten. Sie soll zukünftig mehr als bisher in die Konzepte des Museums eingebunden werden: Eine Führung durch die „De Ploeg“-Ausstellung mit anschließendem Besuch der Villa etwa ist für den 30. April geplant.

Wollen die Besucherinnen und Besucher dem Eintauchen in die Gesamtkunst von Impressionismus, Expressionismus und Konstruktivismus noch ein nahezu surrealistisches Konzept hinzufügen, sollten sie zwei Ecken weiter, in der Itzehoer Salzstraße, zum 144 Jahre alten Weinhaus Pfingsten gehen – und „Nichts“ kaufen. So heißt dort der selbstgebrannte Aquavit.

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