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Montagsinterview Hüseyin Ekici"Mein Traum: Türkei - und am Ende Hollywood"

Hüseyin Ekici ist von der Rütli-Schule geflogen, stand vor Gericht. Heute ist der 19-Jähige ein gefeierter Schauspieler am Heimathafen Neukölln - er spielt den "Arabboy", einen Intensivstraftäter.

taz: Herr Ekici, Sie stehen im Heimathafen Neukölln als "Arabboy" Rashid auf der Bühne, ein Neuköllner Intensivtäter. Wie viel Hüseyin Ekici steckt in Rashid?

Hüseyin Ekici: Ach, das kann man so nicht sagen. Das Stück ist schon sehr überspitzt. Und es zeigt nur die schlechten Seiten von Rashid: Prügeleien, Drogendeals, Vergewaltigung. So weit wie bei Rashid gings bei mir nie.

Müssen Sie jetzt trotzdem immer die Rolle des kriminellen Ausländers spielen?

Wenn ich damit erfolgreich werde, kein Problem. Böse kann ich eh am besten spielen.

Der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) sagt, dass er sich viele Hüseyin Ekicis für seinen Bezirk wünscht. Komisches Gefühl, oder?

Wenn Herr Buschkowsky sagt, ich sei ein Sprachrohr und Vorbild der Neuköllner Jugend, dann fühle ich mich doch geehrt. Ich liebe diesen Bezirk. Ich bin ein Sonnenalleekind, in einem Plattenbau in der Köllnischen Heide aufgewachsen, gegenüber dem Jobcenter, war immer draußen: Karl-Marx-Straße, Hermannplatz, Rathaus Neukölln, Hermansntraße. Fragen Sie die Leute, sie kennen meinen Namen.

Neukölln ist Ihre Heimat?

Ich liebe es einfach hier. Das harte, authentische Leben. Wer hier wohnt, bleibt auch selbst authentisch. Jeder kennt hier jeden, man kann immer zusammen in Cafés abhängen. Und wir haben Herrn Buschkowsky (grinst).

Was mögen Sie so an ihm?

Buschkowsky ist mein Freund! Er ist der einzige Politiker, den ich schätze. Der Mann macht seit Jahren was für den Bezirk, auch wenn er immer wenig Unterstützung kriegt. Er steht für Gleichberechtigung. Als Herr Buschkowsky vor einer Weile im Krankenhaus war, hab ich mir richtig Sorgen gemacht. Ich hab im Rathaus angerufen, gefragt, wies ihm geht und ob er was braucht.

Buschkowsky kritisiert aber auch den mangelnden Integrationswillen vieler Migranten.

Aber er sieht nicht alle gleich. Er nennt auch die positiven Migranten und die Deutschen, die nur zu Hause sitzen. Das ist der Unterschied zu Herrn Sarrazin, der sagt, dass sich alle muslimischen Leute nicht integrieren wollen.

Sie sind auch gläubiger Muslim - und damit unintegrierbar?

Wenn mich Herr Sarrazin als nicht integrierbar bezeichnet, hat er recht: Ich habe es gar nicht nötig, mich zu integrieren. Ich bin in Kreuzberg geboren, habe immer in Neukölln gelebt. Ich bin Berliner. Was Sarrazin beschreibt, ist einfach ein menschlicher Zug: Manch einer will sich integrieren, ein anderer nicht. Es gibt auch Deutsche, die sich nicht in die Gesellschaft einbringen wollen.

Sarrazin spricht aber explizit von muslimischen Einwanderern, deren "Fruchtbarkeit" eine "kulturelle Bedrohung" darstelle und die "nur für den Obst- und Gemüsehandel eine produktive Funktion" hätten.

Für so einen Spruch würde ich ihm am liebsten eine scheuern. Meine Mutter ist mit sieben Jahren aus Ostanatolien hierhergekommen. Seit 25 Jahren arbeitet sie in einer Lampenfabrik, bei Osram in Spandau. Anfangs waren da nur Männer, eine Riesenhitze, sie machte ständig Überstunden. In der Fabrik hätte ich Sarrazin mal gerne gesehen.

Für Sarrazin wäre Ihre Mutter wohl die große Ausnahme.

So ein Quatsch. In meiner Familie - und die ist groß - gehen alle arbeiten, außer denen, die wirklich nicht mehr laufen können. Meine Oma hat drei Jobs auf einmal gemacht. Das wird ja immer vergessen: Als unsere Großeltern und Eltern nach Deutschland kamen, mussten die arbeiten und haben die gearbeitet. Aber das wird nicht anerkannt.

Also gibt es keine Integrationsprobleme in Deutschland?

Das sag ich nicht. Natürlich gibt es Migranten, die nichts machen und sich über Hartz IV freuen. Und natürlich gibt es hirnlose Leute von uns, die einen auf Gangster machen und kriminell werden. Es gibt aber auch die andere Seite, die Sarrazin nicht sieht: Ich bin hier geboren, ich zahle Steuern, auch ich repräsentiere Deutschland. Trotzdem bleibe ich ein Ausländer. Was soll das, Mann? Was soll ich noch tun, damit die Leute sagen: Der Junge ist ein Berliner?

Welche Rolle spielt der Islam für den Erfolg oder Misserfolg von Integration?

Da muss man zwischen Glaube und Tradition unterscheiden. Ich bin auch gläubig, bete und faste; gleichzeitig bin ich modern. Was ich vom Koran weiß, sind ganz positive Geschichten über den Menschen. Probleme gibt es oft, wenn die Tradition zu viel wird, wenn man nicht mit offenen Augen durchs Leben geht. Aber noch mal: Es gibt auch krasse Christen in Bayern oder Priester, die Kinder missbrauchen. Da würde keiner sagen, alle sind so.

Wo würden Sie politisch ansetzen, wenn Sie die Mittel hätten?

Hier, in Neukölln. Ich würde einen richtig guten Jugendklub aufmachen, der immer auf hat, für alle Altersgruppen. Mit Nachhilfe, Festivals, Workshops. Wie die Naunynritze in Kreuzberg. Warum gibt's hier sowas nicht?

Aber es gibt doch viele Jugendklubs in Neukölln.

Aber nichts, was wirklich interessant ist. Mit Workshops, von denen die Kinder nicht nachher enttäuscht sind. Ich habe immer gerne gerappt. Ehrliche Texte: über mein Leben, meine Mama und so. Aber bei allen Jugendklubs hieß es immer: "Heute ist das Studio voll, komm morgen wieder, und dann übermorgen." Hätte ich damals rappen können, hätte ich vielleicht nicht auf der Straße abgehangen und den ganzen Scheiß gemacht.

Sie sind in der 7. Klasse von der Rütli-Schule geflogen, waren Mitglied einer Jugendgang. Wie sind Sie da reingeraten?

Ich hatte die falschen Freunde: "Hüseyin, komm wir kiffen heut einen. Scheiß auf Schule, wir gehen heute Kudamm." Man wird bedrängt, will dabei sein. Dann war ich irgendwann Mitgründer einer Gang.

Wie wichtig war der Coolness-Faktor, Gangmitglied zu sein?

Respekt war immer wichtig, auf jeden Fall. Man will in Neukölln kein Opfer sein, nicht jeden Tag Nackenklatscher bekommen. Ich war oft geladen und habe mir dann Achtung verschafft. Aber es ging auch um die Gemeinschaft. Wir waren ja auch nicht richtig Gangster, eher …. Tja, was? Sagen wir mal: Ghettokids.

Sind da nicht Ihre Familie und Lehrer eingeschritten?

Ach, die Lehrer. Es gab welche wie meinen Mathelehrer, da wär ich auch freiwillig nach der Schule geblieben. Da merkst du, die interessieren sich für dich. Aber dann gabs andere, die gesagt haben: "Hüseyin, sei ruhig, dann kriegste am Ende deine Note." Da merkst du, die hassen dich. Was willst du da lernen?

2008 standen Sie vor Gericht - vor der Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die inzwischen verstorben ist und deren Buch "Das Ende der Geduld" zum Bestseller wurde.

Als ich vor Frau Heisig stand, konnte ich nichts mehr sagen. Sie hatte recht mit dem, was sie mir vorwarf. Also musste ich da durch. Ich wurde verurteilt, danach war Schluss mit der Gang.

Wofür wurden Sie verurteilt?

Das würde ich ungern sagen. Ich stehe dazu, dass ich Mist gebaut habe und verurteilt wurde. Aber heute bin ich Schauspieler, das steht im Vordergrund. Ich habe gelernt, dass diese Gewaltschiene nichts bringt. Ich muss keine Bomberjacken mehr tragen und alle grimmig angucken.

Wie haben Sie Frau Heisig vor Gericht erlebt?

Irgendwie habe ich sie für ihre Härte bewundert. Sie hat nicht einfach gesagt: "Ah, krimineller Ausländer, und tschüss." Sie hat sich vorher genau über mich und meine Laufbahn erkundigt. Das machen nicht alle Richter.

Heisig forderte in ihrem Buch schnellere Strafen für Jungkriminelle, da nur so eine pädagogische Wirkung erfolge.

Hätte Frau Heisig Mitleid gezeigt, hätte mir das nichts genutzt. Richter brauchen diese Strenge. Wir müssen unsere Gesetze härter durchziehen. Zum Beispiel diese Jungs in München, die diesen armen Mann auf dem Bahnhof totgeschlagen haben. Ich hätte denen lebenslänglich gegeben, ganz ehrlich.

War die Verurteilung durch Kirsten Heisig Ihr Schlüsselerlebnis, durch das Sie den Absprung geschafft haben?

Nein, da steckt meine Mutter hinter. Als ich vor Gericht stand, hat sie gesagt: "Wach endlich auf! Das hast du davon, also steh jetzt deinen Mann." Auch vorher hat sie gedroht, dass sie mich aus der Wohnung schmeißt, wenn ich von Hartz IV lebe. Sie hat mich gelehrt, dass das Leben Arbeit ist.

Ihre Mutter hat sie allein aufgezogen. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt, als Sie fünf Jahre alt waren.

Meine Mutter ist die Beste. Alle meine Freunde hätten sie gerne als Mama. Wenn ich Leute nach Hause bringe, kümmert sie sich um sie, als ob ich das wäre. Und das macht sie nicht, weil die alte Tradition sagt, die Frau steht unter den Männern. Schwachsinn. Das läuft bei uns einfach so: Mama macht Frühstück, ich räume es weg. Heute koche ich, morgen sie. Ich teile sogar heute noch mein Geld mit ihr. Wenn ich Geld brauche, kriege ichs von ihr.

Wie sind Sie zur Schauspielerei gekommen?

Ich habe schon in der Grundschule Theater gespielt. Auch wenn mir das als Kind vielleicht noch nicht so bewusst war, wollte ich immer Schauspieler werden. Später habe ich mich mehr reingehängt, mich überall beworben. Meine jetzige Agentin wollte mich erst gar nicht - aber ich habe sie um eine einzige Chance gebeten und bekam drei Castings für Filmproduktionen. Am Ende hatte ich die Unterschrift.

Fanden das Ihre Freunde nicht uncool?

Natürlich gabs welche, die gesagt haben: "Bist jetzt Brad Pitt oder was?" Die hab ich einfach reden lassen. Das hab ich auch auf der Straße gelernt: Niemand gönnt dir was. Heute aber kommen viele und fragen, ob ich ihnen nicht eine Rolle besorgen kann. Und meine Lehrer von früher sitzen jetzt in der ersten Reihe und umarmen mich nach dem Auftritt.

Wo wollen Sie hin mit der Schauspielerei?

Mein Traum wäre, auch mal in der Türkei zu spielen - und am Ende in Hollywood.

Woher haben Sie die Hoffnung, dass Ihnen der große Durchbruch gelingt?

Hab ich doch gar nicht. Man sollte nie auf etwas hoffen. Aber ich kämpfe dafür. Wenn ich ein eigenes Haus habe, ein Auto, eine Familie - dann können wir uns auf eine Wasserpfeife wiedertreffen und dann sag ich Ihnen, dass ich was geschafft habe.

Haben Sie Vorbilder, an denen Sie sich orientieren?

Meine Mutter (lacht). Eigentlich nicht so direkt. Udo Kier vielleicht. Oder Fatih Akin, weil der sich seine Karriere selbst aufgebaut hat, ohne einen berühmten Papa. Ich gucke mir aber auch Sachen von Klaus Kinski an. Einfach zum Lernen. Kinski war zwar ein Psychopath, aber gleichzeitig auch Perfektionist. Ich mag auch Charlie Chaplin.

Chaplin?

Ich feier den Mann, er hat die Comedy erfunden.

Wie viele Ihrer Freunde stehen denn noch auf Charlie Chaplin?

Die kennen den nicht mal. Aber da war ich als Kind schon anders. Wenn meine Cousins Fußball gucken wollten, wollte ich lieber Zeichentrick- oder Kung-Fu-Filme sehen. Dazu war ich immer so hyperaktiv, da hat meine Mutter gesagt: "Wenn du das so gerne guckst, dann machs doch gleich selbst." Und hat mich zum Taekwondo geschickt. Neun Jahre hab ich das gemacht.

Welchen Ratschlag geben Sie Neuköllner Jugendlichen heute für deren Zukunft?

Auch wenn da wohl keiner drauf hört: Schule zu Ende machen. Wer in der einen Hosentasche eine Ausbildung oder Abitur hat, kann mit der anderen Geld verdienen.

Hätten Sie damals auf diesen Rat gehört?

Mhm, wohl nicht. Aber mal ehrlich: Du kannst auch real sein, wenn du Abitur hast. Die Coolsten sind eh die, die Köpfchen haben. Guck dir Bushido an: Der kann sich politisch artikulieren, wenn er will. Jeder Mensch hat Grips, aber viele sind faul.

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