orte des wissens
: Alchemie auf dem Uni-Boden

Hans Leistikows Mosaiken im Glasgang des Fachbereiches Chemie der Universität Hamburg

Der Hamburger Apotheker und Alchemist Hennig Brand (1630–1710) will es unbedingt – er will Gold herstellen. Er sammelt seinen Urin, dampft ihn ein, bis nur noch eine trockene Substanz bleibt. Als er sie über viele Stunden erhitzt, leuchtet sie: So entdeckt Brand 1669 in Hamburg Phosphor, diesen „geheimnisvollen Lichtträger“. Als Baustein der DNA findet er sich in unseren Knochen, im Blut, in jeder Zelle, aber auch in Düngemitteln und den zerstörerischen Phosphorbomben, ist ein „Element auf Leben und Tod“.

Hennig Brands Entdeckung markiert den Übergang von der magischen Alchemie zur naturwissenschaftlichen Chemie, hat er doch ein chemisches Element durch das Destillieren und Erhitzen sicht- und nutzbar gemacht.

In Hamburg wird der gemeinsame Ursprung von Alchemie und Chemie anhand von Boden- und Wand-Mosaiken im Fachbereich Chemie der Universität begreiflich – im Glasgang, der den Martin-Luther-King-Platz mit der Sedanstraße verbindet. Dabei besteht jedes der 34 Bodenmosaiken aus kleinen Fliesen. Sie bilden eine Raute mit vier Zeichen der Alchemie und Chemie. In Blau und Sepia sind sie in die hell- und dunkelgrau gefliesten Boden eingelassen.

Beginnend am Eingang Martin-Luther-King-Platz, zeigt das erste Mosaik die symbolischen Formen von Feuer, Wasser, Erde und Luft, entsprechend der Vier-Elemente-Lehre des Aristoteles. Flankiert werden sie von zwei Mosaiken mit Symbolen für Jupiter (Zinn), Merkur (Quecksilber), Venus (Kupfer) und Sonne (Gold), für Erde (Antimon), Mars (Eisen), Saturn (Blei) und Mond (Silber). Bereits im Altertum wurden diese Metalle den Planeten zugeordnet, entsprechend der charakteristischen Eigenschaft der jeweiligen Planetengottheit – das Waffenmetall Eisen dem Kriegsgott Mars, das Spiegelmetall Kupfer der Liebes- und Schönheitsgöttin Venus.

Und weil es bei den oft gefährlichen Experimenten brodelte und zischte, weil Flüssigkeiten destilliert und verdampft wurden, woraus sich die heutige Labortechnik mit ihren Apparaturen entwickelte, folgen auf weiteren Mosaiken die Symbole chemischer Substanzen, Prozesse und Geräte. Auch Verbindungen und Zustandsveränderungen von Elementen sind gestaltet, etwa der Schwefel – schon um 1680 erprobte man die reibungsempfindliche Zündmischung aus Phosphor und Schwefel, die den Streichhölzern sehr nahe kam.

Die vier Wandmosaiken aus farbigen Glassteinen hingegen sind da angebracht, wo die Gänge zu den einzelnen Institutsbereichen abzweigen: Sie verweisen auf die moderne Chemie mit je einem spezifischen chemischen Stoff oder Prozess: die Biochemie (Chlorophyll und Hämoglobin), die Angewandte Analytik (Zustandsdiagramm), die Organische Chemie (Sechsring-Motive und kubische Elemente ) sowie die Anorganische Chemie (Oktaeder).

Ein Mosaik zeigt Symbole für Feuer, Wasser, Erde und Luft, entsprechend der antiken Vier-Elemente-Lehre

Schöpfer der Mosaiken ist der Grafiker Hans Leistikow (1892–1962), Sohn eines Apothekers. Als die Gebäude der Chemie 1958 auf dem einstigen Gelände der Kaserne des Infanterieregiments 76 errichtet wurden, arbeitete das beauftragte Frankfurter Architekturbüro Giefer und Mäkler eng mit Leistikow zusammen. Man kannte sich aus Frankfurt, wo Leistikow vor und nach dem Krieg als Stadtgrafiker tätig war und etliche Kirchenfenster gestaltete, darunter die der Allerheiligenkirche im Frankfurter Ostend und die der Westend-Synagoge.

Die Neubauten der Hamburger Chemie bildeten Anfang der 1960er-Jahre die Keimzelle für das naturwissenschaftliche Zentrum der Universität, heute weitgehend verdeckt vom monströsen, noch unvollendeten MIN-Forum. Man muss also recht zielstrebig sein, um den Glasgang mit Leistikows Mosaiken zu entdecken. Wer sie abschreitet, „ergeht sich“ die Geschichte der Chemie aus den Ursprüngen der Alchemie und begegnet dem klug ordnenden Können Leistikows. Wie schade, dass die Erläuterungen zu den Mosaiken gestalterisch so eklatant hinter den von Leistikow gesetzten Maßstäben zurückbleiben. Frauke Hamann