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Polarlichter? Polarlichter!

Sonntagabend sitzt eine Gruppe Berliner Journalisten in der Uckermark. Es ist saukalt, aber weil U. es so will, stehen alle draußen, gucken in den Himmel und rauchen. Alkohol fließt und die Lärmverschmutzung steigt: Immer lauter werden türkische und serbokroatische Gassenhauer, Schweizer Ska-Punk und San-Remo-Schlager in die sternenklare Nacht gegrölt. Auch wenn einige behaupten, gehört zu haben, wie Emus, Kraniche und Wölfe heulen, kommt keine Polizei wegen Ruhestörung.

Irgendwann wird heftig diskutiert, was am Horizont leuchtet. „Das ist Berlin!“ „Quatsch, Berlin ist da!“ Finger zeigen in eine andere Richtung. „Dann ist es Hamburg.“ „Niemals.“ „Moskau.“ „Saporischschja.“ „Tschernobyl.“ „Giga-Factory.“ „Lass rein gehen, es ist arschkalt.“

Mit diesem sarkastischen Blick in die Nacht endet die Inspizierung des Lichts. Es wird noch ein bisschen gegrölt, getrunken und gequatscht. Dann gehen die Lichter, also die im Haus, aus.

Am nächsten Morgen liegt der Himmel immer noch stahlblau über den filigranen Hügeln, die wie zarte Dünen durch den Horizont wehen, Rehe äsen, Kraniche trompeten. Der Müllwagen kommt, der Geschirrspülreparateur nicht und der Kaffee ist alle, die nächste Einkaufsgelegenheit 13 Kilometer weit weg. Ist auch besser fürs Detoxing. Das soll es hier ja sein: zwei Tage Detoxing von den schlechten Nachrichten, um wieder eine bessere Zeitung zu machen.

Mittags kommt ein Kollege aus Berlin. „Und, Polarlichter gesehen? Alle Welt spricht von Brandenburg.“ Polarlichter? Polarlichter! Nicht Saporischschja. Für den Abend wird eine Nachtwanderung angesetzt. Im Internet werden Fotos gefunden, die Brandenburg vom Abend zuvor zeigen sollen: grün und pink schimmernde Schlieren.

In der Uckermark ist am Ende des Himmels nur ein unspektakulär heller, ausfransender Schein zu sehen. „Pankow“, „Mailand“, „Aliens“, „Kraniche“, lauten die qualifizierten Kommentare der Wanderungsteilnehmer. Eine Handykamera aber hat eine Supertopcheckereinstellung und macht ein Foto, auf dem aus dem hellen Lichtfeld eine lilapinkfarbene Waberschicht wird und die Sterne grün schimmern.

Journalisten sind Zyniker, glauben nicht an Ufos und brauchen immer eine zweite Quelle, weswegen es am Ende alle für wahrscheinlicher halten, den Schein der Weddinger Straßenlaternen gesehen zu haben. Offen ist, was das für die Zukunft der Medien heißt.

Doris Akrap

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