König erst mal ohne Land

Die CDU liegt klar vorn und ist so stark wie seit 1999 nicht. Weil aber Rot-Grün-Rot wohl weiter eine Mehrheit hätte, könnte die CDU in der Opposition bleiben

Von Stefan Alberti

Er strahlt einfach. Kai Wegner, der CDU-Spitzenkandidat, steht im Festsaal im 3. Stock des Abgeordnetenhauses, des Berliner Landesparlaments, in dem seine Partei sich traditionell an Wahlabenden trifft. Viel zu feiern gab es da in den vergangenen 20 Jahren nicht. Dieses Mal ist das anders: Auf 27,5 Prozent ist der in CDU-Schwarz getönte Balken der Wahlprognose gestiegen, die auf Fernsehschirmen vor Bildern von Gerhard Richter zu sehen ist. Das wäre das beste CDU-Ergebnis seit 1999 und deutlich mehr als SPD und Grüne mit je 18,5 Prozent. Die ersten Hochrechnungen bestätigen das, sehen die Grünen leicht vor der SPD und beim ZDF die CDU sogar bei 28 Prozent.

Wegner genießt sichtlich erst mal nur – er, der oft unterschätzte Bodenständige, den die Bundesspitze angeblich als Spitzenkandidat hatte verhindern wollen, ist der Sieger des Abends. Trotzdem könnte die bisherige rot-grün-rote Koalition trotz starker Verluste weiter regieren und Wegner Oppositionschef bleiben – es reicht immer noch zu einer Mehrheit für das Dreierbündnis. Offen bleibt dabei weiterhin, ob das unter Führung von Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) oder Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch geschähe – zu nahe liegen die beiden Parteien beieinander.

Doch Tenor im Saal ist das, was auf dem Bildschirm CDU-Generalsekretär Mario Czaja angesichts von über neun Prozentpunkten Vorsprung seiner Partei so formuliert: „Jeder Anstand verbietet es, dass diese Regierung weiter Verantwortung übernimmt.“

Strahlende Gesichter verfolgen Wegners erste Worte, darunter Schauspieler Dieter Hallervorden, der in Berlin ein eigenes Theater betreibt. Neben dem Spitzenkandidaten steht auch Musikmanager und CDU-Bundesvorstandsmitglied Joe Chialo auf dem Podium – in einem Kabinett Wegner wäre er im Kulturressort der erste schwarze Minister in Berlin. Lange, sehr lange waren die Christdemokraten nicht mehr in einer solchen Siegerrolle. 2001 hatten sie sich aus der Berliner Regierungszentrale verabschieden müssen und seither nur einmal, von 2011 bis 2016, als SPD-Juniorpartner mitregiert.

„Rot-Grün-Rot ist abgewählt!“, sagt Wegner unter dem Jubel der CDUler. Triumphierender aber wird er nicht, kündigt stattdessen Gespräche mit SPD und Grünen an. Sein Kalkül ist klar: Allzu viel Siegerpose könnte einer mit SPD wie Grünen möglichen Zweier­koalition von Anfang an den Boden nehmen. Ob es dazu kommt, bleibt offen – zwei Etagen tiefer im TV-Studio sieht Grünen-Spitzenkandidatin Jarasch „eine klare und stabile Mehrheit“ für die drei bisherigen Regierungsparteien. Auch Giffey gibt an, bei SPD-Führung in jetziger Formation weitermachen zu wollen.

1999, das Jahr des bislang letzten CDU-Wahlerfolgs, war auch das Jahr, in dem Wegner erstmals ins Abgeordnetenhaus einzog. Auch wenn er 2005 in den Bundestag wechselte, 16 Jahre dort blieb und erst zur nun wiederholten Wahl vom 26. September 2021 wieder für das Abgeordnetenhaus kandidierte, blieb er immer nahe an landes- und lokalpolitischen Themen dran. Wegner ist tief verwurzelt im Stadtrandbezirk Spandau, wurde dort geboren, führt nicht nur den Landesverband, sondern auch die örtliche CDU an und lebt dort weiterhin.

Wegner, der lange als Rechtsausleger in der Berliner CDU galt, hat seit Übernahme des Landesvorsitzes mehrfach überrascht. Einen Parteitag ließ er exklusiv zum Thema Umwelt stattfinden und präsentierte dabei die Idee, das Ex-Flughafengelände des Tempelhofer Felds zu einem klimafördernden Wald zu machen. Und im vergangenen Herbst stellte er ein Papier zu mehr Mieterschutz vor. Schon früher, 2015, warb er CDU-intern für die Ehe für alle.

Größere bundespolitische Bedeutung wird dem Wahlausgang jedoch nicht zugemessen. Dass die CDU auf Bundesebene in Umfragen bei 30 Prozent liegt, hat Wegner gewiss nicht geschadet. Andersherum kann sich Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz den Erfolg der Landespartei kaum zu eigen machen. Zum einen prägten Berliner Themen die Wahl, zum anderen hätte sich Merz angeblich gerne einen anderen Spitzenkandidaten mit mehr Ausstrahlung gewünscht.

Ein guter Einstieg in ein Jahr, das im Herbst noch zwei wichtige Landtagswahlen mit sich bringt, ist es für die Union aber durchaus. „Die CDU muss beweisen, dass sie Großstadt kann“, sagte Merz beim Wahlkampfendspurt am Freitag. Das jetzige Ergebnis ist immerhin das beste, das überhaupt irgendeine Partei seit 2011 in Berlin als größter deutscher Großstadt holte.