taz🐾thema
: weltkrebstag

die verlagsseiten der taz

Brust entfernen – wie geht es weiter?

Jährlich erkranken rund 75.000 Frauen in Deutschland an Brustkrebs. Etwa jeder fünfte Tumor kann nicht brusterhaltend operiert werden. Die Betroffenen stehen vor grundlegenden Entscheidungen

Angelina Jolie entschied sich vorsorglich für eine Amputa­tion, weil sie genetisch eine hohes Risiko hat, an Brustkrebs zu erkranken Foto: Photoshot/picture alliance

Von Anna Löhlein

„Kein Krebs gleicht dem anderen. Das heißt, es gibt bei Brustkrebs, wie bei den meisten anderen Organkrebsarten, keinen Automatismus, bei dem die Diagnose nur eine einzige Behandlungsmöglichkeit vorgibt“, erklärt Franziska Holz, Gynäkologin, Psychoonkologin und Geschäftsführerin der Hamburger Krebsgesellschaft. So haben Patientinnen in vielen Fällen die Wahl zwischen einer brusterhaltenden Therapie oder einer vollständigen Entfernung ihres Brustgewebes. Fällt die Entscheidung auf Amputation der ganzen Brust, oder ist diese Maßnahme aus medizinischen Gründen notwendig, so stehen die Patientinnen vor der nächsten schweren Entscheidung: Leben sie fortan ein- oder beidseitig brustlos oder lassen sie ihre Brust rekonstruieren? Wenn ja: mit welcher Methode?

Um im Verlauf der Brustkrebsbehandlung, zu der auch die Frage nach dem Danach zählt, tragfähige Entscheidungen treffen zu können, ist ausführliche Beratung und Information wesentlich. Neben medizinischen Gründen muss vor allem das persönliche Für und Wider gewissenhaft abgewogen werden. In Arztgesprächen, die auf eine Brustkrebsdiagnose folgen, ist dies nicht immer im erforderlichen Umfang möglich.

„Häufig fehlt den behandelnden oder diagnostizierenden Ärz­t:in­nen in Kliniken und Brustzentren dafür schlichtweg die Zeit. So wird zwar ein ausführlicher Katalog von Möglichkeiten angesprochen, häufig haben die Me­di­zi­ne­r:in­nen darüber hinaus aber keine Zeit für ein ausführliches Abwägen zusammen mit der Patientin“, sagt Holz und rät Betroffenen, sich mit ihren Fragen an Krebsberatungsstellen zu wenden und sich zusätzlich etwa bei Selbsthilfegruppen oder im Internet zu informieren, denn: „Die gute Nachricht in dieser ganzen schlimmen Situation ist, dass immer ausreichend Zeit bleibt, um gemeinsam zu überlegen und Entscheidungen in Ruhe und gut informiert zu treffen.“ Häufig muss die Diagnose zunächst verdaut werden, die Panik sich legen, bevor ein rationales Abwägen möglich wird.

Holz selbst berät Brustkrebspatientinnen im Rahmen der Angebote der Hamburger Krebsgesellschaft, einem gemeinnützigen Verein, der sich für Patientenberatung, Krebsforschung und -prävention einsetzt und Mitglied der Deutschen Krebsgesellschaft ist. In einer oder auch mehreren Sitzungen können etwa die ärztlichen Befunde aus dem für Laien häufig schwer nachvollziehbaren medizinischen Fachjargon übersetzt, Fragen für ein erneutes Arztgespräch formuliert, subjektive Pros und Kontras abgewogen und schließlich – ergebnisoffen – Entscheidungen gefunden werden.

Steht die Maßnahme einer Mastektomie (Abnahme der Brust) fest, so gilt auch hier, sich durch ausführliche Information eine Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Denn neben den beiden Verfahren zur Rekons­truk­tion der Brust, dem Aufbau mit Implantaten oder mit Eigengewebe, ist das „Flachbleiben“ eine reelle Möglichkeit, die als gleichwertige dritte Möglichkeit diskutiert werden muss. Der Wiederaufbau der Brust gilt als üblicher – ist die Akzeptanz einer brustlosen Frau doch noch immer eine gesellschaftliche Herausforderung.

Ein Argument für den Wiederaufbau ist, neben der kosmetischen, auch die psychologische Bedeutung, die eine neue Brust für Betroffene haben kann: Der Körper trägt keine allzu sichtbaren Erinnerungen an den Krebs. Es gibt aber ebenso Frauen, die sich mit dem Gegenteil erst wohl und geheilt fühlen. So entschied sich Janet Volkmer, die als Trägerin eines Brustkrebsgens eine prophylaktische beidseitige Brustentfernung vornehmen ließ, dafür, „flach“ zu bleiben.

Trägerinnen bestimmter Risikogene haben im Schnitt ein 85-prozentiges Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Die vorbeugende Entfernung des Brustgewebes gilt hier als Möglichkeit, das Risiko um über 90 Prozent zu senken. „Die Bedrohung, die von meinem Brustgewebe ausging, war nach der Mastektomie verschwunden und ich konnte damit abschließen. Deshalb bedeuten die Narben mir etwas Beruhigendes. Ich wollte durch die Mastektomie damit abschließen“, berichtet die Berlinerin.

Die Zahl der Krebsneuerkrankungen wird in Deutschland pro Jahr bis zum Ende dieses Jahrzehnts um fast 20 Prozent auf 600.000 steigen, warnen Experten. Der Weltkrebstag findet jährlich am 4. Februar statt, um Vorbeugung, Erforschung und Behandlung von Krebserkrankungen ins Bewusstsein zu rücken, um über Prävention und Früherkennung zu informieren. In diesem Jahr steht er unter dem Motto „Close the care gap – Ver­sorgungslücken schließen“.

Ebenso nachvollziehbar ist für sie, dass andere Frauen gerade durch rekonstruierte Brüste nicht mehr mit ihrem Brustkrebs oder der Angst davor konfrontiert sind und deshalb mit dieser Entscheidung besser leben. Neben anderen persönlichen Gründen für oder gegen eine Brustrekonstruktion, spielt das eigene Weiblichkeitsbild, das Körperverständnis und der Körpertyp eine Rolle.

Volkmer ist Mitglied im Verein Ablatio mammae – Selbstbewusst ohne Brust (Amsob). Ablatio mammae bezeichnet die Entfernung der Brust (genauer: der Brustdrüse). 2019 gegründet, ist eines der Ziele der noch jungen Selbsthilfegruppe von Frauen, die sich gegen eine Rekonstruktion entschieden haben, neben der konkreten Information für Frauen auch, die Option der Brustlosigkeit mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken. Und: dass auch zum Wie einer Brustamputation mehr Aufklärung und eine tiefgreifendere Beratung erfolgen muss – denn genau wie bei einer Rekonstruktion sollte auch eine Brustentfernung ohne Aufbau ein ästhetisches Ergebnis haben, mit dem sich die Betroffenen wohlfühlen.