Kunst und Technik
Wie kam der Synthesizer nach Indien? Was sagt uns die Technocracy-Bewegung in den USA und Kanada heute? Zwei Installationen beim CTM-Festival geben mal schlechter, mal besser darüber Auskunft
Von Tilman Baumgärtel
Früher war mehr Zukunft. Dieser Eindruck bleibt bei zwei der Ausstellungen, die beim diesjährigen CTM, einem Berliner Festival für elektronische Musik und Kunst, zu sehen sind, zurück. Sie arbeiten sich mit medienarchäologischer Gründlichkeit an Sujets aus 20. Jahrhundert abarbeiten.
Da ist zunächst einmal „We Found Our Own Reality“ des britischen Künstlers und Musikers Paul Purgas im Silent Green, die sich der kurzen Geschichte des elektronischen Musikstudios am National Institute of Design (NID) in Ahmedabad widmet. Das NID sollte moderne Gestaltungsmethoden nach Indien bringen, um die Industrie des Subkontinents zu beflügeln. Beraten von Charles and Ray Eames und mit Unterstützung von Gastdozenten wie Louis Kahn, Frei Otto, John Cage oder Robert Rauschenberg sollte hier eine Art indisches Bauhaus entstehen.
Einer der Gastdozenten war der Komponist und Musiker David Tudor, der Ende der 1960er Jahre einen Modular-Synthesizer mitbrachte, den der Synthesizerpionier Robert Moog für das Institut gebaut hatte. Zusammen mit einigen Tonbandgeräten war das Instrument das Zentrum des elektronischen Musikstudios, in dem nach einer indischen Form von elektronischer Musik gesucht wurde. Diese Phase endete, als ein neuer Direktor, einen Admiral im Ruhestand, Anfang der 1970er das Kommando am National Institut of Design (NID) übernahm.
Purgas hat bei seinen Recherchen nicht nur herausgefunden, dass der Moog-Synthesizer heute im Keller eines Tierheims steht, das ein Absolvent des NDI gegründet hat. Er hat auch Tonbänder mit Aufnahmen aus den experimentellen Jahren des NDI entdeckt. Aus diesen Aufnahmen hat er einen eigenen Mix hergestellt. Der ertönt im Silent Green als Raumklanginstallation aus einem Kreis von Lautsprechern, die in traditionelle indischen Stoffen eingenäht um eine Bodeninstallation und eine Neonskulptur mit weiteren Verweisen auf den Modernismus in Indien stehen.
Leider funktioniert diese Installation weniger als die Meditation über den Einfluss des westlichen Modernismus im postkolonialen Indien, die Purgas offenbar vorschwebte, sondern wirft vor allem ethische Fragen auf: Wie respektvoll und künstlerisch gerechtfertigt ist es eigentlich, wenn man wiederentdeckte Werke von anderen Komponisten vollkommen intransparent als Bausteine für seine eigenes Werk verwendet?
Solche Fragen werden noch drängender angesichts der schlampigen Präsentation von einigen zusammengehudelten Dokumenten zur Geschichte des NID und einem undurchsichtigen begleitenden Filmprogramm. Das CTM-Festival muss sich fragen, ob es eine gute Idee war, für diese pompöse Installation auf die sonst übliche Gruppenausstellung zu verzichten. Eine andere vergessene Episode aus der Geschichte der Technik thematisieren die Künstler Peter Behrbohm und Markus Bühler in ihrer Ausstellung „The Technate“, die in der panke.gallery zu sehen ist. Bei einem sechsmonatigen Aufenthalt in den USA beschäftigten sich die beiden Absolventen der UdK mit der heute weitgehend vergessen Technocracy-Bewegung, die in den 1930er und 1940er Jahren in den USA und Kanada viele Anhänger hatte. Technocracy war als Reaktion auf die Great Depression entstanden und wollte Kapitalismus und Demokratie durch eine Expertendiktatur ersetzen, bei der Wissenschaft und Technik die Gesellschaft prägen sollten.
Arbeit sollte weitgehend den Maschinen übertragen werden, alle Menschen ein Grundeinkommen erhalten und als Währung waren Energiezertifikate vorgesehen, die stark an die Kryptowährungen von heute erinnern. Andere Ideen der Technocracy-Bewegung gemahnen an den „Solutionismus“, der heute im Silicon Valley gepflegt wird, den Glauben, dass man mit Technik soziale Probleme lösen kann.
Arbeit sollte weitgehend den Maschinen übertragen werden
Um ihre Philosophie zu propagieren, führte die Organisation 1947 einen Autokorso von Los Angeles nach Vancouver durch, der an die Truckerproteste in Kanada im vergangenen Jahr erinnert. Behrbohm und Bühler sind die Route nachgefahren und präsentieren in einer Installation Fundstücke, Dokumente und Videos.
Noch ausführlicher ist die Reise auf der Website thetechnate.net dokumentiert, die an frühe künstlerische Internet-Travelogues wie „Siberian Deal“ von Eva Wohlgemuth und Kathy Rae Huffman oder „Arctic Circle“ von Felix Stephan Huber and Philip Pocock aus den 90er Jahre erinnert. Anders als damals funktioniert diese „cinematische Expedition“ im Web allerdings heute zuverlässig – wenn uns die Technik schon nicht retten kann, macht sie wenigstens Darstellungsfortschritte bei der Netzkunst möglich.
Paul Purgas: We Found Our Own Reality, Silent Green, Betonhalle, bis 4. Februar.
Peter Behrbohm & Markus Bühler: The Technate, panke.gallery, bis 25. Februar