piwik no script img

Immerwährendes Kreisen

Der Konzeptkunst-Veteran Reinhard Mucha hat ein Kunstkarussell erschaffen. Statt sich zu drehen, erinnert die Installation in der Galerie Sprüth Magers an die Tretmühle des Arbeitsalltags

„Kasse beim Fahrer 0.2“, Installation von Reinhard Mucha © muchaArchive, Bonn 2022, Courtesy the artist and Sprüth Magers Foto: Jochen Arentzen

Von Tom Mustroph

Kunst kann überwältigen. Reinhard Muchas Großinstallation „Kasse beim Fahrer 0.2“ ist solch ein Überwältigungsgerät. Bis auf die Höhe von zwei übereinanderstehenden Menschen erhebt sich die kreisrunde, einer einem Karussell nachempfundenen Assemblage aus diversen Büromöbeln und Haushaltsgegenständen. Tische sind hochkant gestapelt und formen den runden Grundkörper. Von ihnen spreizen sich waagerecht metallene Leitern ab, die den Umfang des runden Corpus beträchlich erweitern. Ihre Enden sind mit in den Raum hineinragenden Bürostühlen versehen.

Mucha, ein gelernter Schmied und Maschinenschlosser, dürfte selbst Hand angelegt haben bei seinem großen Werk. Bei dem in der Berliner Galerie Sprüth Magers ausgestellten Objekt handelt es sich um eine Rekonstruktion des Originals von 1987. Es verbindet zwei große Narrationsstränge: Der eine leitet sich vom Jahrmarkt von Karrussells her ab, jenen mechanischen Großgeräten, in denen Kinder erste Erfahrungen von Geschwindigkeit machten vom Dahinfliegen durch die Lüfte.

Der rotierende Großapparat, der in diesem Falle vor allem aus Büromöbeln gebaut ist, erzählt aber auch von den ewigen Kreisläufen des Arbeitstalltags, von endlos laufenden Fließbändern in der Industrie, vom Einerlei der eintreffenden Mails und der sich wiederholenden Teamsitzungen an den Büroarbeitsplätzen.

Der Titel „Kasse beim Fahrer“ verweist natürlich auf die Jahrmärkte, an das Kassenhäuschen des Karussellbetreibers. Er lenkt die Gedanken aber auch dahin, wer die Zeche bezahlt im Hamsterrad der Arbeit – erst recht die planetare Zeche, wenn es um Umwelt- und Klimaschäden der Industriegesellschaft geht.

Mucha hat im unteren Teil der Installation Spiegel eingearbeitet, in denen die Be­trach­te­r*in­nen sich selbst sehen können, wie sie integriert sind in das große mechanische Gefüge. An einer der gegenüberliegenden Wände ist eine weitere Spiegelfläche angebracht, die neue Sichtachsen schafft.

Reinhard Muchas Position innerhalb der Konzeptkunst ist einzigartig. Denn er verbindet formale Strenge mit Humor. Seine Verwendung von Gebrauchsgegenständen erinnert an Marcel Duchamp. Mucha allerdings modifiziert diese Objekte in seinen Installationen. Weil es sich um Alltagsgegenstände handelt, kommt den aus ihnen gebauten Ensembles auch ein feiner entzauberter Gestus zu.

Er führt profanes Handwerk in die Kunst ein, wie schon bei einem seiner ersten bekannt gewordenen Projekte überhaupt. Als Kunststudent mauerte er 1978 eine Mauer aus Hohlblocksteinen. Seine Mit­stu­den­t*in­nen an der Kunstakademie Düsseldorf nutzten sie, um dort ihre Werke aufzuhängen. Mucha beobachtete sie und auch die Besucher, verfolgte, wie sie zweifelten, ob es sich um Kunst oder Profanität handelte.

Auch jetzt schreibt sich diese Beobachtungsgeste in das Werk ein. Nicht nur wegen der Spiegel an und um das Werk. Sondern auch, weil zuweilen ein älterer Mann, der Mucha nicht ganz unähnlich sieht, im Galerieraum sitzt, ins Lösen von Kreuzworträtseln vertieft, wirft er gelegentlich den Blick in den Raum.

In den 1980er und 1990er Jahren war Reinhard Mucha ein international gefragter Konzeptkünstler. Zwei Mal war er in jener Zeit auch auf der documenta eingeladen. 1990 machte er mit seinem „Deutschlandgerät“ Furore im Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig.

Verwendete Gebrauchsobjekte erinnern an Duchamp

Eine kompakte Ansammlung von Vitrinen war dort zu sehen, die Teile des Fußbodens und der Wände von Muchas Atelier enthielten und so einen entweideten Produktionsraum von Kunst darstellten. Der Titel „Deutschlandgerät“ bezog sich hingegen auf eine tatsächlich gebaute und eingesetzte Maschine, die entgleiste Schienenfahrzeuge wieder aufs Gleisbett bringen sollte. Das ist nicht nur in der Zeit der Wiedervereinigung ein starkes Symbol für eine havarierte Welt.

Die Ausstellung bei Sprüth Magers wird begleitet von kleineren Arbeiten Muchas sowie Plakaten früherer Ausstellungen, die einen Einblick in die Ideenwelt des in den letzten Jahren eher an den Rand gerückten Künstler geben.

Noch ein kleines Spiel treibt Mucha im Übrigen mit den Besucher*innen. Zwar wirkt sein Kunstkarussell unmittelbar fahrbereit, auch mit den Rollen, auf denen es lagert. Es bleibt aber statisch, ist an einigen Stellen sogar fest mit dem Boden verbunden.

Bis 25. März in der Galerie Sprüth Magers

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen