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Das Gas bleibt in der Erde

Fracking for Future heißt eine Komödie des britischen Dramatikers Alistair Beaton. Ihr Thema bewegt viele im Norden. Philippe Besson hat sie in Rendsburg inszeniert

Von Jens Fischer

Fracking ist wie Regietheater. Ob nun ein von der Natur komponiertes, Stein gewordenes Konglomerat aus Materie oder ein von Schriftstellern komponiertes, Dramentext gewordenes Konglomerat aus Worten – es wird aufgesprengt und Fremdstoffe werden hineingepresst, um die gewünschten Inhalte herauslösen und ans Tages- bzw. Bühnenlicht zu bringen. Was kann dann erst ein dramatischer Text übers dramatische Fracking offenbaren? Bevor das Schlosstheater Celle im April 2023 „Fracking for future“ zur Premiere bringen wird, kommt die Komödie von Alistair Beaton bereits jetzt am Schleswig-Holsteinischen Landestheater heraus. Die erste Aufführung im Stadttheater Rendsburg war zwar schwach besucht, wurde aber stark beklatscht.

Das Stück artikuliert eine deutlich ablehnende Haltung zur titelgebenden Gasgewinnung, was vom Theaterpublikum vehement geteilt wurde, mehrfach unterbrach es die Aufführung mit Gesinnungsapplaus. Schließlich heizen ja hitzige öffentliche Debatten ums Fracking die energiesparend runtergekühlte Lebensatmosphäre gerade auf und fordern zur Positionierung heraus.

Zur Milderung der Energiekrise und gegen den russischen Missbrauch von Energie als Waffe werden altbekannte Fakten derzeit neu positioniert, etwa dass weit über 90 Prozent aller in Deutschland verfügbaren Erdgasvorräte unter niedersächsischem Boden lagern. Damit könnte der inländische Verbrauch für das eine oder andere Jahrzehnt gedeckt, also Unabhängigkeit von Russland oder LNG-Lieferungen aus den USA oder Katar erreicht werden.

Aber es handelt sich nicht nur um Erdgas, das konventionell aus Sandstein gefördert werden kann, sondern mehrheitlich um Gas in Schiefergestein, das nur mit dem giftigen Fracking zu gewinnen ist. Unkalkulierbare Risiken sind Grundwasserverschmutzung und seismische Erschütterungen. Seit 2017 ist Fracking daher in Deutschland verboten. Beispielsweise die FDP will das ändern und bezeichnet es als heuchlerisch, gefracktes Gas etwa aus den USA oder Kanada einzuführen, die Methode aber daheim nicht zu erlauben.

Zudem würden zur Verflüssigung des Gases für die Verschiffung nach Deutschland bis zu 20 Prozent der transportierten Energie benötigt, weshalb die Importe einen weit höheren CO2-Fussabdruck hätten als deutsches Fracking-Gas. In Großbritannien hat die Gasnotlage bereits über die Gefahrenlage triumphiert. Seit September 2022 ist Fracking dort wieder erlaubt. Dagegen kämpft Eli­zabeth Blackwood (Karin Winkler) in dem 2016 uraufgeführten Stück.

Die emeritierte Mittelalterhistorikerin springt empört aus dem Rendsburger Parkettstuhl, als die Bürgermeisterin ihres Wohnörtchens auf der Bühne einen sogenannten Sachverständigen vorstellt. „Professor Wake­man ist bestechlich … Er leitet einen Fachbereich, der von Energieunternehmen finanziert wird.“ Korrumpierte Wissenschaft wird von korrumpierter Lokalpolitik zur Bürgerindoktrination benutzt? Tumult im Saal. Die Anklägerin wird abgeführt.

Ein Zuschauer hat alles mit dem Handy gefilmt, online gestellt – und schon ist Elizabeth eine Widerstands-Heldin wider Willen. Auf der Drehbühne wechselt die Handlung nun zwischen dem schäbigen Büro einer Werbeagentur, die im Auftrag von „Deerland Energy“ eine Gemeinde zur Genehmigung des Frackings überreden soll, und einer kunterbunten, botanisch bewucherten, von Alt-68er-Plakaten verzierten Wohnküche.

Dort entwickelt sich Elizabeth von der staatstreuen, an die Unbestechlichkeit demokratischer Prozesse glaubenden Leserbriefschreiberin zu einer Skeptikerin und schließlich zur gewieften Aktivistin des zivilen Ungehorsams. Als schlurfig gemütlichen Schrebergärtner gesellt der Autor einen Gatten als Sidekick hinzu, der nicht viel mehr als seine Ruhe haben, Kekse mümmeln und mal ein Bierchen zischen will. Genauso stereotyp sind auch Elizabeths Gegner angelegt. Der rücksichtslos profit­orientierte, mit drögem Friedrich-Merz-Charme geschlagene Unternehmensboss und sein Reputationsmanager Joe, der mit Show-Freundlichkeit seine Verachtung für alles und jeden zu verstecken versucht, seine Sätze aber allzu häufig mit einem „fuck“-Ausbruch krönt, weil er seine überschießende Energie nicht in den Griff bekommt.

Ein Zuschauer hat alles mit dem Handy gefilmt, online gestellt – und schon ist Elizabeth eine Widerstands-Heldin

Skrupellos agitierend und intrigierend macht Joe klassische PR-Arbeit, versucht also Menschen zu belügen, zu betrügen und zu manipulieren. Wie bei einigen Kol­le­g:in­nen anno 2022 gehört zu seiner Kampagne auch die Black-out-Panikmache: Das Angstschüren vor dem Zusammenbruch der Energieversorgung soll Stimmung fürs Fracking machen. Dabei gelingen einige zynische Pointen. Für ein paar weitere Gags hat der Autor die wuselige Berufsdemonstrantin Jenny und ihren jungen Liebhaber erfunden, den Dark-Wave-New-Age-Veganer Sam.

Die Dar­stel­le­r:in­nen bekommen kaum Chancen, sich aus ihren Witzfigurenkorsetts herauszuarbeiten. Nur Karin Winkler kann die Hauptrolle mit sensibler Leichtigkeit differenzierter gestalten. In Sachen Humor sind die immer neuen Lacher auf Kosten ihres Ehemannes eher unangenehm, gemächlich obsolet kommen Witze über Boris Johnson dazu. Alle Befürworter von Fracking sind bei Beaton zweifelsfrei die Bösen, alle Gegner mehr oder weniger schrullige Sympathieträger. So kann keine erkenntnisfördernde Auseinandersetzung stattfinden.

Zudem ist kein Druck auf der Inszenierung von Philippe Besson. Für den Spott fehlt das Ätzende, für eine Satire das Tempo. Wie eine Zuspitzung in die politische Groteske hätte funktionieren können, zeigt Dennis Habermehrl als bestechungsaffiner Gemeinderat, ein jämmerliches Ekelpaket wie aus dem bürgerlichen Heldenleben des Carl Sternheim.

Ansonsten regiert ästhetischer Biedersinn auf der Bühne. Trotzdem funktioniert die viel mit direkter Publikumsansprache arbeitende Aufführung als Schlachtruf, grummelndes Unbehagen aufzuputschenzu Aktivismus gegen Fracking-Fans, -Lobbyisten, -Werbemanagern und -Unternehmen. Und das ist ja nicht wenig.

Nächste Aufführungen: 14. 12., 19.30 Uhr, Stadttheater Rendsburg; 15. 12., 20 Uhr, Stadttheater Heide; 25. 12., 19 Uhr, Schleswig, Slesvighus; sowie 29. 12., 19.30 Uhr, Flensburg, Stadttheater

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