: So sieht der Retter aus
Bruno Labbadia soll den VfB Stuttgart in der ersten Bundesliga halten. Fans reagieren mit Skepsis. Doch die Verlegenheitslösung könnte sich als Erfolg erweisen
Aus Stuttgart Christoph Ruf
Der badische Satiriker Harald Hurst hat seine Liebe zum Dialekt einmal mit dem unwiderlegbaren Argument begründet, dass eine „Muggebatsch“ ein Insekt eben vollständiger zerquetsche als eine ordinär-hochdeutsche „Fliegenklatsche“. Ähnlich verhält es sich mit dem schwäbischen Wort „Klepperlesverein“. Die Übersetzung als „dilettantisch geführter 08-15-Club“ trifft den Tatbestand nicht so ganz. Die im Fanblog „Rund um den Brustring“ getätigte Behauptung, der VfB sei derzeit ein solcher, gibt indes ziemlich genau den Eindruck wieder, den viele Fans von ihrem Verein haben, der in den vergangenen acht Wochen eine beispiellose Personalrochade durchführte und den Trainer (samt Mitarbeitern) sowie den Sportdirektor austauschte und den Interimstrainer gleich mit gehen ließ.
Nicht, dass das in der Hire-and-fire-Branche so ungewöhnlich wäre. Der schwere, so schwer ins Hochdeutsche zu übersetzende Vorwurf trifft die Vereinsführung aus drei Gründen. Zum einen waren Pellegrino Matarazzo (Trainer), Sven Mislintat (Sportdirektor) und Michael Wimmer (Interimscoach) beliebt und nach Volkes Meinung auch ausreichend erfolgreich. Zum anderen grassiert die Angst, mit dem Weggang der Protagonisten auch das Konzept aufzugeben, für das sie standen. Und drittens heißt der neue Coach Bruno Labbadia. Und der wird von vielen VfB-Fans eher skeptisch gesehen.
„Der VfB ist bekanntermaßen nicht irgendein Club für mich“, wird Labbadia in einer Vereinsmitteilung zitiert. „Ich möchte nun dazu beitragen, dass der VfB in der Bundesliga bleibt.“ Wimmer wird den Verein hingegen verlassen. Er dürfte recht bald in der dritten Liga eine Cheftrainer-Stelle annehmen. Erst vergangene Woche hatte der VfB die Trennung von Sportdirektor Mislintat bekanntgegeben, der künftig vom bisherigen Paderborner Sportdirektor Fabian Wohlgemuth ersetzt wird. Wie der zu Beginn des Jahres gegangene Thomas Hitzlsperger stand Mislintat für die Neuauflage des Konzepts als Ausbildungsverein, der das eigene Nachwuchsleistungszentrum fördert und junge Spieler weiterentwickelt, um sie dann teurer weiterzuverkaufen. Dieses Konzept wird in Stuttgart auch im Stadion für gut befunden – angeblich nach wie vor auch von der Vereinsführung um Präsident Claus Vogt und Vorstand Alexander Wehrle.
Derweil scheint die Skepsis, die Labbadia entgegenschlägt, zumindest überzogen. Schon aufgrund der Vielzahl seiner bisherigen Vereine – jeder dritte derzeitige Bundesligist hatte ihn schon einmal als Coach – muss der 56-Jährige mit einem Image als Verlegenheitslösung leben. Dabei wird gerne übersehen, dass er dort oft erfolgreich gearbeitet hat. Auch den VfB rettete Labbadia, der in dieser Saison auch schon in Verhandlungen mit Schalke 04 gestanden hat, 2011 vor dem Abstieg und führte ihn 2012 in den Europapokal sowie 2013 ins Pokalfinale. Größere Erfolge hatte der VfB seither übrigens nicht mehr zu feiern.
Wenn Labbadia in den kommenden Wochen die Skepsis vieler VfB-Fans dennoch erst einmal zerstreuen muss, liegt das auch eher daran, dass viele Spiele in seiner ersten Amtszeit vergleichsweise unattraktiv waren. Der Kader gebe keine andere Spielweise her, rechtfertigte sich der gebürtige Darmstädter damals. Nun, anno 2022, agiert er unter umgekehrten Vorzeichen: Die Schwaben haben in dieser Saison einen spielerisch guten Kader beisammen, dem es aber an Struktur und Wehrhaftigkeit fehlt. Labbadia soll nun eine Hierarchie etablieren, mehr erfahrene Spieler einbinden und mehr Wert auf Laufarbeit und defensive Stabilität legen. Das ist indes inhaltlich durchaus eine Abkehr von der auf attraktiven Offensivfußball ausgelegten Doktrin der vergangenen dreieinhalb Jahre, in der die jungen Spieler auch Fehler machen durften, ohne ihren Platz in der Startelf zu verlieren.
Labbadia ist nun verpflichtet worden, um den aktuell Tabellen-16. in der Liga zu halten. Allerdings bekam er einen Vertrag mit zweieinhalbjähriger Laufzeit. Offenbar trauen ihm die Verantwortlichen also durchaus zu, eine einmal gerettete Elf auch weiterzuentwickeln. In Wolfsburg, wo er wegen Dissonanzen mit Sportdirektor Jörg Schmadtke kündigte, ist Labbadia das von 2018 bis 2019 auch gelungen. Für diese mittelfristige Perspektive könnte der neue Stuttgarter Sportdirektor dann tatsächlich der richtige Partner sein. Wohlgemuth gelang es in Paderborn, mit wenig Geld einen spielstarken, offensivfreudigen Kader zusammenzustellen. Labbadia und Wohlgemuth kennen sich aus gemeinsamen Wolfsburger Zeiten. Dass sie ein gutes Verhältnis zueinander haben, dürfte einer der Gründe dafür sein, dass sie beide verpflichtet wurden.
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