: Ein Griesgram auf Reisen
„Grump“ von Mika Kaurismäki ist mehr als bloß eine weitere skandinavische Komödie über noch einen grantigen alten Mann: Dem Finnen ist eine Mischung aus Roadmovie und tiefsinnigem Familiendrama über zwei ganz unterschiedliche Brüder gelungen
Von Wilfried Hippen
Solche Männer wie den „Grump“ kennen wir. Im skandinavischen Kino hat sich in der vergangenen Zeit ein Subgenre entwickelt: die Grantlerfilme. Weiße alte Männer haben da möglichst drollig schlechte Laune. Der schwedische „Ein Mann namens Ove“ war 2015 ein gutes und sehr erfolgreiches Beispiel. Bei dem neuen Film des finnischen Regisseurs Mika Kaurismäki versucht der deutsche Verleih schon mit dem Filmtitel, Erwartungen in diese Richtung zu wecken.
In Finnland heißt niemand „Grump“, und doch wird der Protagonist im Film, dessen Originaltitel „Mielensäpahoittaja Eskorttia etsimässä“ lautet, nur „Grump“ genannt. Die Quelle von Namen und Titel ist wohl ein früher amerikanischer Grantlerfilm aus dem Jahr 1993. Der hieß „Grumpy Old Men“ und darin waren Jack Lemmon und Walter Matthau noch einmal „Ein verrücktes Paar“ (so der gewohnt uninspirierte deutsche Titel).
Der Titelheld ist ein 72-jähriger finnischer Bauer, der nur das mag, was er kennt. So etwa seine dicke Pelzmütze, die er nie vom Kopf nimmt und seinen roten 72-er Ford Escort. Als er diesen zu Schrott fährt, begibt er sich auf eine Odyssee nach Deutschland, um dort wieder genau solch ein Auto zu kaufen.
Im ersten Akt von „Grump“ erzählt Mika Kaurismäki die altbewährte Geschichte vom Landei, das in die fremde weite Welt gestoßen wird. Zum Flughafen fährt Grump in seinem alten Traktor und stellt ihn dort auch auf dem Parkplatz ab. Die Sicherheitsleute bei der Gepäckkontrolle stellen verblüfft fest, dass Grump seine selbst geernteten Kartoffeln mit ins Flugzeug nehmen will. Als er dann in Hamburg landet,verliert er sofort den Zettel mit der Adresse des Autoverkäufers und als er nach einem „Escort“ fragt, wird er natürlich missverstanden und landet in einem Bordell.
Doch nach etwa 20 Minuten ändert Kaurismäki das Tempo und den Erzählstil seines Films, denn wenn der inzwischen ausgeraubte Grump von seinem Bruder aufgenommen wird, der am Rand von Hamburg als Nomade in einem Campingbus lebt, bekommt der Film eine unerwartete Tiefe. Von nun an wird von den Brüdern, deren unterschiedlichen Lebensentwürfen und den Kindern der beiden alten Männer erzählt, und dabei werden Familiengeheimnisse gelüftet, die das Klima zwischen den Gebrüdern und ihren Kindern seit Jahrzehnten vergiftet hatten.
„Grump“ wird zum Roadmovie, denn die Brüder fahren auf der Suche nach einem neuen alten Ford Escort von Hamburg bis nach Magdeburg und an den Rhein. Und hier ist Mika Kaurismäki schließlich in seinem Element, denn er hat immer gerne Filme über das Reisen, weg vom dunklen, kalten Finnland gemacht. Nicht umsonst haben sie Titel wie „Helsinki Napoli“, „Highway Society“ oder „Road North“.
Als Kenner des Genres weiß Kaurismäki natürlich auch, dass in einem Roadmovie der äußeren eine ebenso spannende innere Reise entsprechen muss. Die beiden Ebenen verbindet er hier geschickt, wenn etwa die beiden Brüder beginnen zu verstehen, warum sie sich ihr Leben lang so fremd geblieben sind; oder wenn die Tochter von Grumps Bruder, die in Deutschland lebt, sich weigert ihren Vater zu sehen oder auch nur finnisch zu sprechen. Heikki Kinnunen gelingt es in der Titelrolle, dessen Entwicklung spürbar zu machen und den Klotz von einem Mann immer verletzlicher und sympathischer wirken zu lassen.
Mika Kaurismäki hat lange in Deutschland gelebt und an der HFF München Film studiert. Im Presseheft sagt er, er „fühle sich dort zu Hause“ und könne deshalb „bestimmte Merkmale Deutschlands sowohl in Bezug auf die Visualität wie auch auf die Atmosphäre porträtieren“.
Meistens gelingt ihm dies auch, aber ausgerechnet einige in der Nähe von Hamburg gedrehte Sequenzen sind ihm eher misslungen: Grumps Bruder wohnt in seinem Campingbus in einer Wagenburg von Aussteigern und vermeintlichen Lebenskünstler*innen, und wenn da dann ein Musiker mit der Gitarre in der Hand kluge Sprüche und gute Laune verbreitet, wirkt dies viel zu konstruiert und gewollt.
Und Kari Väänänen, der Grumps Bruder spielt, der seit über 20 Jahren in Deutschland leben soll, kann offensichtlich kein Deutsch sprechen, sodass man merkt, dass er seine Dialogsätze phonetisch auswendig gelernt hat. Aber dies wird in Finnland kaum jemanden stören, und in Deutschland wird ja die Synchronfassung gezeigt, in der, egal ob finnisch oder deutsch, alles eingedeutscht wurde, sodass Nuancen wie etwa der Kampf eines Schauspielers mit einer ihm fremden Sprache wegsynchonisiert wurden.
So ist „Grump“, trotz des Etikettenschwindels des deutschen Filmverleihs, eine gelungene Mischung aus Komödie und Familiendrama geworden. Mika Kaurismäki untersucht hier inspiriert das komplizierte Verhältnis zwischen zwei Brüdern. Und als der ältere, aber künstlerisch kleinere Bruder von Aki Kaurismäki kennt er sich bei dem Thema ja gut aus.
„Grump“, Regie: Mika Kaurismäki, mit Heikki Kinnunen, Kari Väänänen und andere, Finnland/Deutschland 2022, 109 Minuten
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