Film über türkischen Zoodirektor: Die Farben des Winters in Ankara

Blick vom Stadtrand: „Der anatolische Leopard“ ist das Spielfilmdebüt von Emre Kayış. Es schildert den Wandel der Türkei in leisen Tönen.

Ein Mann und eine Frau sitzen im Auto

Zoodirektor Firket Öztürk (Uğur Polat) und seine Assistentin Gamze (İpek Türktan) Foto: déjà-vu film

Firket Öztürk (Uğur Polat) starrt fassungslos auf den Monitor im Konferenzraum: Wirbelnd fährt eine Gondel die Achterbahn entlang, vorbei an spektakulären Karussells. Der Zoodirektor weiß, dass sein Zoo einem Vergnügungspark weichen soll, doch die Bilder des Clips machen das Unausweichliche noch unerträglicher.

Nach dem Treffen steht Öztürk schweigend, rauchend hinter dem Haus und sieht zu, wie ein Tierpfleger einen Leoparden füttert. Der Leopard ist durch seinen Status als geschütztes Tier das Einzige, was die Privatisierung des Zoos noch verhindern kann. Doch der Leopard ist dabei, zu sterben. Emre Kayış’ Spielfilmdebüt „Der anatolische Leopard“ zeigt eine verschwindende Welt.

Die holzgetäfelten Büros des Zoos wirken gegenüber der narzisstischen Konsumwelt, die sie ersetzen sollen, aus der Zeit gefallen. Der schweigsame Öztürk ist umgeben von alten Männern, die sich gerne reden hören. Der Bauunternehmer erweist sich als Schulfreund. Er erzählt von einem Klassentreffen. Öztürk kann sich in dem Moment wenig Unattraktiveres vorstellen, als hinzugehen.

22 Jahre lang hat er den Zoo in Ankara geleitet. Morgens trinkt er auf dem Weg zur Arbeit einen Kaffee in der Bar einer Eislaufhalle, abends trinkt er dort ein Bier nach der Arbeit. Die Bar ist sein einziges Sozialleben.

„Der anatolische Leopard“. Regie: Emre Kayış. Mit Uğur Polat, İpek Türktan u. a. Türkei/Deutschland/Dänemark/Polen 2021, 108 Min.

Ein toter Leopard

An Silvester flieht er aus dem Konzert seiner Tochter, als seine Exfrau auftaucht und der Tochter beiläufig eine Wohnung in London schenkt. Für eine Weile sitzt er vor dem toten Leoparden im Käfig und schüttet ihm sein Herz aus. Dann versenkt er das tote Tier im Teich hinter der Kantine und fährt in eine Kneipe, in der der Barbesitzer mit Freunden über den wahren Sozialismus streitet.

Gemeinsam mit der Sekretärin des Zoos vertuscht er den Tod des Leoparden. Noch in der gleichen Nacht stapft der Bürgermeister schlecht gelaunt und schreiend durch den leeren Käfig des Raubtiers, die Polizei beginnt zu ermitteln. Öztürk bittet den Gärtner des Zoos, den Teichrand, dort wo er den Leoparden versenkt hat, zu bepflanzen. Der Gärtner schlägt Narzissen vor. Ein Staatsanwalt kommt in den Zoo, erzählt die Geschichte von Narziss’ Tod, um dann eine Narzisse auf den Tisch zu legen und zu gehen.

„Der anatolische Leopard“ ist ein melancholischer Film, der die fahlen Farben des Winters in Ankara mit einer sparsamen Tonspur unterlegt. Dieser zurückgenommenen Gestaltung zum Trotz bleibt der Film durch die fortwährenden Versuche des Direktors, zu verhindern, dass die Wahrheit über den Tod des Leoparden herauskommt, durchgehend in Bewegung.

Neben der Geschichte mit dem Leoparden hat Öztürk alle Hände voll zu tun, seine ehemaligen Mitarbeiter unterzubringen. Kayış’ Film reiht sich ein in eine Anzahl neuerer türkischer Filme wie Ali Vatansevers „Saf“, die den gesellschaftlichen Wandel der Türkei vom Rande der Städte her in den Blick nehmen.

Die Zensur umgehen

Die meisten dieser Filme entstehen als Koproduktion mit gleich mehreren europäischen Ländern. Im Interview mit der Website Asian Movie Pulse erläutert Kayış dazu: „Es ist nie einfach, in der Türkei Filme zu machen. Es gibt nur einen Fördertopf, den des Kulturministeriums. Wir hatten die Unterstützung des Kulturministeriums, aber die war nicht einfach zu bekommen. Man muss seine Geschichten anders präsentieren, um die Förderung zu kriegen. Im Grunde ist das eine Art Zensur. Wenn man seine politische Perspektive nicht verbirgt oder irgendein Tabu anspricht, sind die Chancen auf Förderung sehr gering.“

„Der anatolische Leopard“ ist eine türkisch-deutsch-dänisch-polnische Koproduktion. Das Drehbuch wurde im Rahmen des Sam-Spiegel-Labs in Jerusalem entwickelt. Kayış’ Spielfilmdebüt ist ein kluger, ausgesprochen sehenswerter Film über das Gefühl, durch die Landplage des Baubooms in der Türkei und die Kommerzialisierung des Alltags überrollt zu werden.

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