piwik no script img

Die Bedrohung lauert

Die Performance „Rights for Children“ im Theater im Delphi stellt den Rechten von Kindern schlechte Zukunftsaussichten entgegen

Von Katrin Bettina Müller

Es gibt sie, die Kinder und die Jugendlichen, ein bunt gemischter, inklusiver Haufen, der zwischen den Zuschauerreihen hin und her wie das Herbstlaub im Wind über die Bühne des Theaters im Delphi wirbelt, dabei im Chor und einzeln die Rechte der Kinder deklamiert. Und es gibt ihn, den Grantler, den Miesepeter, den großen Pessimisten im kleingemusterten Anzug, der bei seinen langen Monologen vor sich auf den Boden starrt, die Hände hinter den Rücken geklemmt. Ein Mensch, der sich nicht freuen kann. Und der auch, wenn er behauptet, noch immer ein Kind zu sein, sich so steif bewegt, als wäre er nie eins gewesen.

„Rights for Children“ ist eine Performance, die aus diesem Gegensatz gestrickt ist. Auf der einen Seite hat der Regisseur Alexander Weise mit einer großen Gruppe junger Menschen die Erklärung der Rechte der Kinder, wie sie von der UN-Kinderrechtskonvention im November 1989 verabschiedet wurde, erarbeitet. Die beiden Musiker David Schwarz und Christian Kohlhaas geben ihnen einen Takt vor, der erst mit leisen, eher tippelnden Schritten daherkommt, aber bald an Fahrt aufnimmt und an Dringlichkeit gewinnt. Obwohl die Sprache der rechtlichen Vorgaben sachlich und unpersönlich ist, scheint durch die Rhythmisierungen und Sprechweisen bald hindurch, dass sie eben nicht eine Realität beschreiben, sondern auf einen Mangel reagieren, auf Situationen, in denen Kinder nicht geschützt waren, wie etwa auf der Flucht aus einem kriegszerstörten Land.

So reicht in einer Szene, in der ein Junge die Rechte zum Schutz vor sexueller Ausbeutung, Missbrauch und vor pornografischer Darstellung zitiert, dass sie von den kläglichen Tönen eines Kinderliedes, „Hänschen klein ging allein“, begleitet wird, um die Vorstellung in die Richtung von missbrauchten, mit ihrem Unglück alleingelassenen, von ihren Eltern nicht beschützten Kindern zu bewegen. Was man weiß über die realen Verbrechen an Kindern, schwingt so oft mit.

Es gibt aber auch schöne Momente, in denen die Inszenierung aus diesem bedrückenden Raum ausbricht. Etwa wenn ein kleines Mädchen die Vereinbarungen der Vertragsstaaten zitiert und dabei die Gesten eines strengen Vaters parodiert, dann öffnet sich kurz ein Blick auf ein humorvolles Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen.

Passioniert pessimistisch

Der einsame Erwachsene (Andrei Tacu) aber, der ihnen in der Inszenierung mit doch etwas sehr lang geratenen Monologen (Text Marcel Luxinger) entgegentritt – die jungen Per­for­me­r:in­nen müssen so lange in die Ecken verschwinden und ausharren –, lässt Humor eher vermissen. Er ist klug, er nervt ganz schön, er weiß viel und häuft in seinen Reflexionen ein Versagen der Moral und der Vernunft in der Geschichte der Menschheit auf das nächste.

Er könnte fast eine Figur von Thomas Bernhard sein, mit solcher Leidenschaft wühlt er sich in die Belege für weitere schlechte Aussichten. Das Regelwerk der „Rights for Children“ geht seinen Worten gegenüber im Rauch der Schlachten auf, mit denen letztlich jede Macht sich verteidigt, auch wenn ihr Unrecht zum Himmel schreit.

Apropos Himmel: Das Theater im Delphi ist in einem ehemaligen Kinosaal in Berlin-Weißensee untergebracht. Über der Bühne und den Zuschauern wölbt sich eine Decke, die Stefano di Buduo mit Projektionen von Wolken, Wasser, farbigen Explosionen und einmal auch symbolischen Friedenstauben bespielt. Das passt in seiner Abstraktion zum Anspruch der Allgemeingültigkeit der Kinderrechte. So weit funktioniert das ganz gut.

Und doch wünscht man sich manchmal, die Kids und Teenies, die hier für viele Wochen der Proben zusammenkamen und Schulferien dafür opferten, hätten etwas mehr eigene Geschichten und Zugänge zu dem allgemeinen Stoff einbringen können.

„Rights for Children“, wieder am 19. + 20. November im Theater im Delphi

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen