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Archiv-Artikel

Der Kasten, der die Welt bewegt

Aus Welthandel und Seeverkehr ist der Container nicht mehr wegzudenken. Das Emblem der Globalisierung funktioniert aber auch als Kristallisationskern dissidenter Theorie und Praxis. So zu erleben beim Workshop „Welt aus dem Container“ in Berlin

VON BENJAMIN STEININGER

Er ist überall. Und alles Mögliche war und ist in ihm drin. Im Container. Elektronik, Klamotten, Jürgen und Zlatko, Südfrüchte, pakistanische Kleinwaffen, pakistanische Flüchtlinge, der Bauleiter vom Potsdamer Platz, sein Auto – in Teilen, am Stück, der Schrott wird selbst Container. In kaum einem Objekt ist die globalisierte Welt, dieser gigantische Terminal für verschobene Ware, verlagerte Arbeitsplätze und entsprechend zwangsmobiles Personal, so eingespannt wie in den 8 Fuß breiten und 20 oder auch 40 Fuß langen ISO-Container.

Anlageberater, Logistikkonzerne und Reedereien fahren im Linienverkehr mit heute 12 bis 15 Millionen Stahlkisten weltweit satte Gewinne ein. Doch neben Großbaustellen und Autohändlern haben längst auch Künstler, Theaterleute und Architekten den universalen Behälter gekapert; außerdem interessieren sich längst Kultur- und Medienwissenschaftler für die philosophische, ökonomische wie gestalterische Bedeutung des nur scheinbar simplen Kastens. Wie viele Disziplinen zur Erstellung einer „ersten Karte des Prinzips der Containerisierung“ Entscheidendes beizutragen haben, zeigte der Workshop „Welt aus dem Container“ am vergangenen Wochenende in Berlin. Eingeladen hatten die kulturwissenschaftlichen Graduiertenkollegs „Mediale Historiographien“ (Weimar) und „Codierung von Gewalt im medialen Wandel“ (Berlin) in Gestalt von Alexander Klose und Lars Denicke. Auf dem Podium im Prater der Volksbühne diskutierten Experten aus Architektur, (Militär-)Geschichte, Kunst, Informatik, Theater, Logistik, Film, Kultur- und Medienwissenschaft.

Am Anfang der Containeridee steht 1937 die Ungeduld eines Lkw-Fahrers aus North Carolina über die langsam manuelle Verladung von Baumwolle vom Schiff auf die Straße. In den 50ern stechen unter seiner Regie erste Stückgutfrachter in See, die Waren aller Art in maschinell stapelbaren Behältern transportieren. Wenig später hat der Trucker Malcolm McLean als Gründer der legendären Containerreederei Sealand unauffällig Geschichte gemacht. Der althergebrachte Seehandel samt massenhaft schipperndem und schleppendem Personal ist seither passé. Mit dem Anblick und der Logik der Häfen änderte sich die Welt. Die grandios verbilligten Transporte ermöglichten erst die Verlagerung klassischer Produktionsreviere nach Übersee. Die Monteurs- und Flüchtlingskästen passen ins Bild einer vielfältigst vom „Twenty-feet Equivalent Unit“ – als „TEU“ der Standard im Containerhandel – überformten Welt.

Eine Institution, die die durchschlagende Wirkung des Containers schon lange bühnenwirksam überdenkt, ist die Volksbühne am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz. Man kann wohl sagen, dass der global erste Versuch, den universalen Katalysator Container in seiner ganzen Komplexität zu skizzieren, nicht in Schanghai, Rotterdam oder am für Containerriesen schon zu schmalen Panamakanal stattfand, sondern in Bert Neumanns Bühnenbildern im Palast der Republik und am Prater der Volksbühne.

Den philosophischen Auftakt des Workshops machten der Initiator Alexander Klose und der Kulturwissenschaftler Peter Berz im ausgeweideten Stahlbauch des Palastes der Republik, vor der Containerbühne zu „Berlin Alexanderplatz“ in der Regie von Frank Castorf, die hier gerade läuft. Gleichsam aus metaphysischer Ferne wurde in ihren Vorträgen die Logik des Containers als Objekt gewordenes „Enthalten“, als Gipfel abendländischer Fixierung auf „Form vs. Inhalt“ verständlich. Zu standardisierten Modulen verschaltet und schließlich vernetzt, bedeutet der Container „totale Zirkulation“. Und doch stiftet er im Schatten der intendiert geordneten Funktion bizarre „Anders-Orte“, Foucaults „Heterotopien“.

Im derart abstrakt zwischen den Begriffsblöcken „Behälter“, „Standard“, „Netz“ und „Raum“ aufgespannten Untersuchungsfeld konnten schließlich die unterschiedlichsten Zugriffe auf den Container kommunizieren.

So referierte der ordensgeschmückte, amerikanische Militärhistoriker Salvatore Mercogliano über militärische Vorläufer des ISO-Containers. Die Schweizer Aktions-, Konzept-, und Netzkünstler der etoy.Corporation gaben Einblicke in ihre mobilen Ausstellungsflächen. Und der Logistiker und Informatiker Ingo Timm stellte seine autonome Agentensoftware vor. In derart weiten Diskussionsrunden wurde das Prinzip „Container“ ausgelotet.

Interdisziplinärer Dialog auch im Block „Standards“. Die präzise Strategie des gastgebenden Bühnenbildners Bert Neumann, über die Verwendung standardisierter Bauteile den widerständigen, nicht zur Rangiermasse der Regie entfremdeten Akteur zu stützen, wurde hier mit den Ausführungen der Delfter Standardisierungstheoretikern Tineke Egyedi konfrontiert, für die Standards überhaupt Handlungsfreiheit erst ermöglichen und garantieren. Die explizit problematischen Seiten der Containerisierung wurden dagegen in den vom Prinzip „Container“ formulierten „Zonen erstarrter Bewegung“ (Mark Terkessidis) sichtbar. Wie schon die Baracke zeitigt der Container zwar architektonisch keineswegs nur ästhetische Katastrophen. Der funktionale Fluchtpunkt des modularen („Städte“-)Bauens ist und bleibt aber trotz fröhlicher Kinder in der Container-Kita das (Flüchtlings-)Lager.

Fast rührend bedankte sich der Filmemacher Tony Grisoni („In this World“) über die „neue Obsession“. Er hatte in der Nacht von Containern geträumt.