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Archiv-Artikel

Haare auf unserer Haut

Aller routinierten Propaganda zum Trotz ist unbedeckte Männerhaut kein ästhetisches Ärgernis – und im Trend

Mit zu zwei Dritteln unbehosten Beinen stehen die Männer dieses Sommers mitten im Leben – und sie fühlen sich sichtlich wohl in ihrer mitunter behaarten Haut. Vorbei die Zeiten, in denen Mann seine Körperlichkeit unter Tuch, Socken und geschlossenen Schuhen verbergen musste. Und das nicht, weil gerade Winter war, sondern aufgrund der (männlichen) Annahme, dass allein das so genannte schöne Geschlecht berechtigt sei, die Reize ihrer in Eselsmilch gebadeten Körperlichkeit öffentlich auszustellen.

Doch ob in der Fußgängerzone von Detmold oder auf dem Trottoir des sommerlich aufgeheizten Berlins, überall sieht man Männer, die sich im Reinen fühlen mit ihrem Körper und ihn gerne herzeigen. Keineswegs wird der sensible Betrachter durch „käsige Unterschenkel über weißen Tennissocken“ belästigt – alljährlich wiederkehrende Gräuelpropaganda aus den körperfeindlichen oder gar homophoben Redaktionsstuben der Republik.

Stattdessen: gebräunte, mal mehr, mal weniger muskulöse, mal blond oder dunkel behaarte Waden, die in strumpflos getragenen, flachen Turnschuhen oder Flip-Flops stecken. Darin makellos gepflegte Zehennägel, stolze Zeichen des gesamtgesellschaftlichen Durchbruchs der Fußpflege.

Überwunden scheinen auch die feminisierenden Exzesse der Metrosexualität. Die Beinrasur bleibt weiterhin Frauen und Leistungsschwimmern vorbehalten, alle anderen greifen nicht zum Nassrasierer, sondern höchstens zum elektrisch betriebenen Kurzhaarschneider, um allzu wucherndes Körperhaar zu „trimmen“. Dies gilt erst recht für die Brustbehaarung, die in ebendieser gestutzten Version ihr Comeback erlebt. Ganz einfach deshalb, weil sie in der Regel zum Mann gehört, während die glatte Brust ursprünglich eine Domäne des Jünglings ist.

Der Mann von heute hat den Gender-Trouble der Neunziger überlebt und ist nach verwirrender Selbstfindungsphase bei sich selbst angekommen.

Er hat verstanden, dass es nicht darauf ankommt, verkrampft überpflegt zu sein, sondern selbstverständlich gepflegt – ohne den eigenen Körper und seine geschlechtlichen Eigenheiten zu verhehlen. Mann zeigt nackte Arme, Beine und Füße – und das längst nicht mehr nur auf dem Christopher Street Day.

MARTIN REICHERT