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Archiv-Artikel

Jürgen Rüttgers schlecht bei Stimme

Dem neuen Ministerpräsidenten fehlen bei seiner Wahl zwei Stimmen der schwarz-gelben Koalition. Dann streikt auch noch das Mikro. Heute will Rüttgers sein Kabinett präsentieren. Amtsübergabe in den Ministerien spätestens Montag

DÜSSELDORF taz ■ So hatte sich der neue CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers den Tag seiner Amtseinführung wohl nicht vorgestellt. Als er gestern Vormittag den Düsseldorfer Landtag betrat, demonstrierten vor dem Hohen Haus hunderte Studierende, Schüler und Fraueninitiativen gegen die neue Regierung. Als Rüttgers zum NRW-Regierungschef gewählt wurde, fehlten ihm mindestens zwei Stimmen aus dem Koalitionslager. Als er anschließend seine Wahl annehmen wollte, funktionierte das Mikrofon nicht. Statt „Ich nehme die Wahl an“ hörte man nur einen schrillen Piepton.

Über 101 Stimmen verfügt die neue CDU/FDP-Koalition im Parlament. Doch obwohl die schwarz-gelben Abgeordneten vollzählig erschienen waren, erhielt Rüttgers bei der Wahl zum Ministerpräsidenten nur 99 Ja-Stimmen. 87 Parlamentarier votierten gegen ihn. Es gab eine Enthaltung. In einer kurzen Ansprache sagte Rüttgers, er habe „lange auf diesen Tag hin gearbeitet“. Nun empfinde er ein „Gefühl der Demut und der Dankbarkeit“. Aus NRW wolle er ein „Land der neuen Chancen machen“, sagte Rüttgers. Besonders für die „Kinder“ dieses „wunderschönen Landes“ wolle er arbeiten. Ausdrücklich bedankte er sich bei seinem Amtsvorgänger Peer Steinbrück (SPD) für den „fairen“ Umgang in den letzten Jahren. Hernach nahm Rüttgers erstmals auf dem Stuhl des Regierungschefs Platz.

Unmittelbar nach der Wahl spekulierten Politiker von Regierung und Opposition über die fehlenden Stimmen bei der Ministerpräsidentenwahl. „Da war wohl doch nicht alles so harmonisch, wie während der Koalitionsverhandlungen immer getan wurde“, sagte die grüne Fraktionsvorsitzende Sylvia Löhrmann. Dabei hatte der vorsichtige Rüttgers bis zu seiner Wahl noch keine Minister präsentiert, um mögliche Proteststimmen von Enttäuschten aus der eigenen Landtagsfraktion zu vermeiden. Doch mindestens zwei Koalitionskollegen waren trotz oder gerade wegen der Hinhaltetaktik gegen Rüttgers – aufgrund von möglichen „persönlichen Enttäuschungen“, wie er später selbst mutmaßen sollte. Der neue Landesvater blickte denn auch eher ernst drein, als Landtagspräsidentin Regina van Dinther (CDU) das Wahlergebnis verkündete. Mit 99 Ja-Stimmen liegt Schwarz-Gelb nur fünf Stimmen über der absoluten Mehrheit.

Noch am gestrigen Nachmittag hielt Rüttgers mit Ex-Regierungschef Steinbrück in der NRW-Staatskanzlei eine Betriebsversammlung ab. Heute stellt der neue Landeschef nach langem Zögern sein Kabinett vor. Am Freitag erhalten die neuen Minister ihre Ernennungsurkunden. Bis dahin regiert Rüttgers formal gemeinsam mit dem alten rot-grünen Kabinett.

Dessen Mitglieder haben zwar schon ihre „Amtsbeendigungsurkunden“ bekommen, verbleiben aber bis zur Ernennung ihrer jeweiligen Nachfolger geschäftsführend im Amt. „Am Freitag oder Montag erfolgt dann die Amtsübergabe in den einzelnen Ministerien“, so eine Sprecherin der Landesregierung. Vereidigt wird das Kabinett dann bei der nächsten Landtagssitzung am 6. Juli. MARTIN TEIGELER