Strukturelles Systemversagen

Das IOC will ausgewählte russische Athleten wieder mitmachen lassen. Es regt sich Widerstand

Von Johannes Kopp

Die Ausschlussdebatten russischer und belarussischer Athleten treiben mancherorts besondere Blüten. Der Uefa, der europäische Fußballverband, beispielsweise hat seit Kriegsbeginn im Februar eine außergewöhnliche Unterscheidung getroffen. Der Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees, Sport­le­r:in­nen aus beiden Ländern, deren Regierungen aktiv am Angriff auf ukrainisches Staatsgebiet beteiligt sind, auszuschließen, folgte die Uefa nur halb. Die Belarussen ließ man weiter mitspielen, sie müssen ihre Heimspiele nur außerhalb von Belarus und ohne Publikum austragen. Der 1. FC Köln protestierte dagegen schon im Juli bei der Uefa, weil man in der Conference League auf Gegner aus Balraus hätte treffen können. Zuletzt erhöhte die Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit einem Schreiben den politischen Druck auf die Uefa. Doch deren Chef, Aleksander Ceferin, reagierte brüsk. Man sehe keinen Grund für einen Ausschluss. Just also zu einem Moment, als der Krieg in der Ukraine wieder eine neue Eskalationsstufe erreichte.

Unabhängig von diesen Entwicklungen scheint auch das Internationale Olympische Komitee im Vorfeld der Qualifikationswettbewerbe für die Olympischen Spiele in Paris 2024 eine Wiedereingliederung russischer und belarussischer Sportler ins Auge zu fassen. Maximilian Klein sagte der Süddeutschen Zeitung am Mittwoch, das IOC unternehme Anstrengungen, um russische und auch belarussische Athletinnen und Athleten wieder im Weltsport zuzulassen. Dafür werde in großen Telefonkonferenzen die Stimmungslage bei Ath­le­ten­ver­tre­te­r:in­nen ausgetestet.

Ende September erklärte bereits Michel Vion, Generalsekretär des Ski-Weltverbandes Fis, eine Teilnahme von Sport­le­r:in­nen aus Russland und Belarus an den Ski-Weltmeisterschaften 2023 sei nicht ausgeschlossen. Schwedische Ski-Langläuferinnen kündigten daraufhin an, sie würden in diesem Fall die Wettkämpfe boykottieren. Verbandsfunktionär Vion berief sich wiederum explizit auf das Vorbild IOC. Vion sagte, IOC-Präsident Thomas Bach denke darüber nach, den international gesperrten Athleten eine kleine Tür zu öffnen. Gegenüber der italienischen Zeitung Corriere della Sera hatte Bach ebenfalls Ende September erklärt, Ziel sei es, russische Athleten, die den Krieg nicht befürworten, unter neutraler Flagge wieder starten zu lassen.

Anders also als beim vom Russen Umar Kremlew geführten Boxweltsportverband IBA, der letzte Woche die generelle Zulassung von russischen und belarussischen Boxern ankündigte, schwebt Bach eine Art Gesinnungstest vor. Athletenvertreter Maximilian Klein wies diese Idee als unpraktikabel ab. Zum einen würde der IOC-Chef damit russische Athleten in Gefahr bringen, weil derlei Bekenntnisse in Russland unter Strafe stünden, zum anderen könnten Sportler etwas vorgeben, was sie gar nicht denken würden.

Klein kritisierte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass der Fokus bei den Sanktionsüberlegungen zu stark auf den Ath­le­t:in­nen läge. Er forderte: „Zugleich müsste dazugehören, dass das IOC und der Weltsport seine Verbindungen zu Russland und die Unterwanderung durch russischen Einfluss aufarbeiten lassen. Dass russische Funktionäre ausgeschlossen werden. Dass russische Verbände und auch das russische NOK ausgeschlossen werden.“ Wenn die Debatte nur auf Athletenebene geführt werde, lenke das vom strukturellen Systemversagen ab.

In diesem Sinne hatten bereits im Juli 35 Staaten, darunter 25 aus der Europäischen Union, die sich als „Kollektiv gleichgesinnter Nationen“ bezeichneten, eine gemeinsame Stellungnahme verfasst, welche auch die deutsche Bundesregierung unterstützte. Gefordert wurde von den internationalen Sportverbänden, dass die russischen und belarussischen Sportverbände aus ihren Reihen suspendiert werden.