doppelblind: Annahmen eines Bankers
Zentralbanken funktionieren anders als Geschäftsbanken. Weil sie Geld drucken dürfen, können sie nicht zahlungsunfähig werden. Es kann Zentralbanker*innen also eigentlich recht egal sein, ob sie am Ende des Quartals rote oder schwarze Zahlen schreiben.
Noch weniger für die Meinung der Öffentlichkeit müssen sich die Banker*innen der Europäischen Zentralbank (EZB) interessieren. Denn Aufgaben und Rolle der EZB sind in den EU-Verträgen festgelegt. Die lassen sich notorisch schlecht ändern – man schaue sich nur den Vertrag über eine Verfassung für Europa an, der aufgrund gescheiterter Referenden in Frankreich und den Niederlanden nie in Kraft trat. Die EZB ist also von direkter Einflussnahme der Öffentlichkeit oder Politik weitgehend isoliert.
Trotz alledem achten die Banker*innen der EZB seit deren Gründung streng darauf, möglichst keine Verluste zu machen und beträchtliche Eigenmittel in ihren metaphorischen Tresoren zu behalten. Der Ökonom Sebastian Diessner von der Universität Leiden hat dafür eine Erklärung. Er zeigt in einer Studie, die im Fachmagazin New Political Economy erschien, dass die EZB-Ökonom*innen wissen, dass Verluste einer Zentralbank an und für sich kein Problem sind. Sie fürchten auch nicht die Reaktionen von Finanzmarktakteur*innen.
Stattdessen sorgt sich die EZB um die breite Öffentlichkeit: „Die Leute besitzen gesunden Menschenverstand und würden sagen, Verluste sind in keinem Fall etwas Gutes'“, zitiert Diessner einen Zentralbanker. Ein zweiter sagte ihm, es sei sehr schwer, der Öffentlichkeit zu erklären, wie das Kapital einer Zentralbank funktioniert.
Die Banker*innen der EZB stützen sich in dieser Einschätzung dabei nicht auf Umfragen oder andere empirische Untersuchungen. Sie nehmen einfach an, dass die Öffentlichkeit den Unterschied zwischen Zentral- und Geschäftsbank nicht versteht. Wenigstens bezüglich der ebenfalls irreführenden Analogie zwischen staatlichem und privatem Haushalt haben kürzlich zwei Politikwissenschaftler*innen der Universität London gezeigt, dass die britische Öffentlichkeit staatlichen Schulden gegenüber weit weniger kritisch eingestellt ist, als es die politische Elite des Vereinigten Königreichs annimmt. Zur Einstellung gegenüber der Geschäftsbankanalogie gibt es kaum Daten.
Die EZB weiß also gar nicht genau, ob die europäische Öffentlichkeit ein Problem damit hätte, wenn sie rote Zahlen schriebe. Darüber hinaus muss es sie auch gar nicht interessieren, weil EU-Bürger*innen und sogar -Politiker*innen nur sehr begrenzt Einfluss nehmen können. Und trotzdem fühlen sich EZB-Ökonom*innen von dem eingeschränkt, was sie für die öffentliche Meinung halten.
Ironischerweise argumentierten Befürworter*innen einer von Politiker*innen weitgehend isolierten EZB unter anderem mit dem fehlenden ökonomischen Sachverstand der Öffentlichkeit. Könnte diese Öffentlichkeit mehr demokratisch legitimierten Einfluss auf die Entscheidungen der EZB nehmen, müssten sich deren Ökonom*innen vielleicht weniger auf ihr Bauchgefühl verlassen. Jonas Waack
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