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King Charles und die fruchtbare Wüste

Vor knapp 100 Jahren regte Rudolf Steiner an, den landwirtschaftlichen Betrieb als Kunstwerk aufzufassen. Der neue britische König sieht darin eine Hoffnung für unseren Planeten

Von Jasper Polano

Seit dem 8. September ist Charles III. das Staatsoberhaupt des britischen Königreichs. Als Thronfolger kritisierte er schon in den 1980er Jahren den zerstörerischen Umgang mit der Natur, engagierte sich für eine umweltverträgliche Landwirtschaft und ging mit dem Öko-Betrieb an seinem Landgut Highgrove selbst mit gutem Beispiel voran. Inspiration erhielt er dabei auch durch die 1924 von Rudolf Steiner angeregte biodynamische beziehungsweise Demeter-Landwirtschaft. „Rudolf Steiner war einer der ersten Menschen der Moderne, der explizit das Prinzip der Vernetzung in Bezug auf die Landwirtschaft anerkannt und eine Verbindung zwischen Bodenfruchtbarkeit und der Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Menschen hergestellt hat“, erklärte der Royal 2017 anlässlich einer internationalen Landwirtschaftstagung.

Aus biodynamischer Perspektive ist der landwirtschaftliche Betrieb ein Kreislauf, der nicht aus der Balance geraten darf und in dem sich das Zusammenspiel von Pflanze, Tier und Mensch vertieft. Was das bedeuten kann, zeigt sich in der öden Wüste nahe der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Im Jahr 1977 gründete Ibrahim Abouleish hier die Demeter-Sekem-Farm. Durch liebevolle und beständige Bearbeitung des Wüstenbodens mit biodynamischen Methoden floriert dort heute eine große fruchtbare Landwirtschaft. Daraus entstanden Verarbeitungsbetriebe, Schulen und eine Universität, was auch Charles zu einigen Besuchen veranlasste.

Viele der von Steiner vor fast 100 Jahren gegebenen Anregungen wie Verzicht auf Pestizide und Kunstdünger sind heute auch im „normalen“ Bioanbau Standard. Hervorzuheben ist dennoch sein Anspruch, nicht nur auf Giftstoffe zu verzichten, sondern das Zusammenspiel der Natur zu kultivieren und regenerativ zu wirtschaften. Er ging sogar so weit, den landwirtschaftlichen Betrieb als eine Individualität zu beschreiben, deren standorteigene Merkmale zu pflegen seien. So erhalte man Lebensmittel, die der zunehmenden Individualisierung der Menschen gerecht werden. Ein krasser Gedanke, in einer Welt der industriellen Lebensmittelversorgung.

Wer einen biodynamischen Betrieb besucht, dem fallen schnell die behornten Kühe auf. Den Wiederkäuern wird eine große Bedeutung zugesprochen, nicht zuletzt auch ihren Hörnern. Verätzung oder Verbrennung der Hornanlagen, wie sonst üblich, ist bei Demeter tabu. Doch gehören die Hörner nicht nur zur körperlichen Unversehrtheit der Tiere, sie sind, wie man bei Herausnahme der Hörner selbst riechen kann, indirekt mit dem Verdauungstrakt verbunden. Verdauungsgase steigen bis in die Hörner auf, welche wiederum – so zeigt zum Beispiel auch die Beobachtung in Sekem – sich desto größer entwickeln, je karger die Weidelandschaft ist und je intensiver die Verdauung arbeiten muss.

Im Lichte solcher Tatsachen, klingt es gar nicht mehr so absurd, dass Rudolf Steiner den Kuhhörnern die Funktion zusprach auch „Lebensenergien“ für die aufwendige Verdauungsarbeit der Kühe intensivieren zu können.

Nach dem Tod der Kühe kommt ihren Hörnern noch eine letzte Aufgabe zu: bei der Herstellung von „Präparaten“. Ein von manchen mit viel Spott bedachtes Beispiel ist das Hornmistpräparat, für das Kuhdung in Kuhhörnern ein halbes Jahr in der Erde vergraben und später verdünnt auf dem Acker verspritzt wird. Den kleinen Kuhhörnern liegt der Gedanke an große, sogar kosmische Zusammenhänge zugrunde: In Pflanze, Tier und Mensch wirkende Kräfte werden in den Präparaten demnach zu einer höheren Harmonie gesteigert, die auf den Feldern befruchtend und harmonisierend wirkt.

Was sich wie Hokuspokus anhören kann, hat auch eine materiell nachvollziehbare Seite: Das Kuhhorn bietet mit seinem hohen Stickstoffgehalt und seiner Porosität einen idealen Behälter, in dem der Kuhdung kompostieren und sich ein aktives Mikrobiom entwickelt kann. In Form einer wässrigen Lösung können so die Äcker mit wertvollen Pilz- und Bakterienkulturen versorgt werden. „Actimel Aktiv“ für den Acker. In den Reihen der weltweiten Spitzenweingüter schwören inzwischen viele auf diese Power-Cocktails, selbst wenn sie aus Angst vor Spott kein „Demeter“ ausgelobt haben.

Charles machte sein Landgut Highgrove in den 1980ern zum Öko-Betrieb

Dass aus Steiners oft belächelter „geisteswissenschaftlicher Forschung“ Methoden entstanden sind, deren Wirksamkeit wir heute erst zu begreifen beginnen, irritiert so manche Kritiker:innen.

Doch was sich auf dem Acker bewährt, wird inzwischen auch durch Studien belegt: So berichtete das Wissenschaftsmagazin MIT Technology Review von einem 40-jährigen Langzeitversuch des Schweizer Forschungsinstituts für biologischen Landbau, wonach Demeter-Methoden die wertvolle Humusschicht weit besser erhalten als konventioneller Anbau, aber auch sonstiger Bioanbau.

Viele Jahre lang wurde das Engagement des „Öko-Prinzen“ Charles belächelt – angesichts der aktuellen Herausforderungen des Klimawandels war er seiner Zeit wohl einfach voraus. Die von Charles wertgeschätzte biodynamische Wirtschaftsweise bietet auf vielen Feldern zukunftsträchtige Ideen, die nicht Spott, sondern weitere Forschung verdienen.

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