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Großstadtflair für eine ganze Woche

Mit dem Urban-Art-Festival „famos“ legt Osnabrück seine provinzielle Anmutung ab. Cool gesprayte Fassadenkunst dringt ins Museum ein und ein Abrissquartier wird zur Galerie

Von Harff-Peter Schönherr

Zwei Affen in einer rotverdorrten Trümmerwüste, einer Welt nach der Apokalypse: Die Bizarrerie, mit der das mehrstöckige Mural der Street-Art-Künstler Rookie und Cone The Weird uns an der Fassade des einstigen Gebäudes der Osnabrücker Sonntagszeitung konfrontiert, ist beklemmend. Nur eine Kirche hat in dieser Hölle überlebt, was vermutlich daran liegt, dass sie das Böse ist.

Rookie und Cone The Weird sind zwei der rund 30 KünstlerInnen des Festivals für urbane Kunst „famos“, das dem Osnabrücker Stadtraum im Oktober Witz und Biss, Explosivität und Nachdenklichkeit verleiht, zum Thema „Wandel“. Ihr monumentales Wandgemälde ist der Mittelpunkt einer oft hintersinnig chiffrierten Freiluftgalerie, und hinter der Mauer ihrer zwei Affen findet der Indoor-Teil der Schau statt, als Pop-up-Ausstellung.

Deckenverkleidungen brechen hier drinnen runter, Löcher klaffen in dreckstarrenden Teppichböden, Kabelschächte liegen frei, Rohre sind notdürftig mit Panzertape abgeklebt. Nicht lange, und das Gebäude wird abgerissen, und mit ihm das halbe Viertel. Aus einem sozialen Brennpunkt mit ruinenhafter Brutalbeton-Parkpalette und leer stehendem Ex-Elektronikmarkt, mit Junkies und Fastfood-Müll, macht ein millionenschwerer Investor dann ein neues City-Quartier. Der Großteil der „famos“-Arbeiten ist also sehr temporär.

Mit „Wandel“ ist nicht nur der lokale Wandel des Abriss-Stadtteils gemeint, der den Kern der Schau beherbergt. Auch globale Wandlungen wie Pandemie, Krieg und Klimakrise werden thematisiert. „Be the Change!“, fordert das Künstlerduo Yeye Weller auf einem Rolltor, dazu streckt eine Katze die Zunge raus, bricht eine Kette, recken sich Victory-Finger in die Luft. Und auch die „Freaks“ von Rebelzer, die revoluzzerhaft auf uns zufluten, als Arbeiterschicht-Menschenmasse, an einer Mauer gegenüber der Wüste von Rookie und Cone The Weird, lassen keinen Zweifel: Nichts bleibt je, wie es ist.

Eine Straßenecke entfernt, schräg gegenüber von einem Supermarkt, vor dem Wohnungslose mit ihren Hunden lagern, hat Bjoern von Schulz an einer schon lange toten Drogerie zweimal seine Nichte gemalt, riesig groß, als Drei- und als Zehnjährige: „An Kindern zeigt sich der Wandel ja besonders deutlich“, sagt er der taz. Die zwei Tage, die er für seine Porträts gebraucht hat, be­schreibt er so: „Das war toll. Viele Leute sind stehengeblieben, total interessiert.“

Das Festival ist eine Initiative des Vereins „Urban Art Osnabrück“, und was den OrganisatorInnen Inga Meggers und Oliver Bartelds hier gelingt, stünde auch großen Metropolen gut zu Gesicht. KünstlerInnen von Saarbrücken bis Hamburg sind ihrem Ruf gefolgt, von Düsseldorf bis Berlin. Die Bandbreite reicht von Visio Bob bis Desk 7, von Christian „Das Wort“ Aretz bis zum Künstlerduo 44flavours.

Gegenständliches trifft auf Abstraktion, Neonbuntheit auf Sepia-Monochromie, filigrane Subtilität auf flächig Plakatives. Es gibt Comicanklänge, Style-Writing. Mauernischen werden zum Malgrund, Garagenrampen, Tore. Oft reagiert die „famos“-Kunst dabei auf das, was vor ihr dort war. „Wir tünchen ja nicht alles vorher weiß“, sagt Meggers.

In- und Outdoorkunst bilden eine Einheit. Der Blick von drinnen hinaus auf die Wände des Viertels zeigt formensprachliche Parallelen. Dieser bonbonfarbige Kampfroboter mit seiner Megawumme zum Beispiel ist drinnen wie draußen zu sehen. Kryptische Schriftzeichen von draußen finden einen Widerklang im stilisierten Gedärm, das in den verlassenen Redaktionsräumen an einem Fleischerhaken hängt.

„Das war toll. Viele Leute sind stehengeblieben, total interessiert“

Bjoern von Schulz, Künstler, übers Malen im öffentlichen Raum

Skulpturen aus Knetbeton sind drinnen zu sehen, in 3-D nachgebaute Miniaturfassaden, Kunstdrucke, Fotos, Radierungen. Schwarzer Humor findet hier statt, Lebensbejahung, Gesellschaftskritik, und wer spielerische Verweise auf die Kunstgeschichte mag, muss nicht lange suchen.Drei Räume stechen heraus: Der erste entrückend weiß, mit Badewanne, Dusche und Toilette, einer verstörenden Klangcollage zu einem nicht minder verstörenden Video, dessen schemenhafte Bewegungen ein Waschbecken-Spiegel verdoppelt. Der zweite brachial blau, in seiner Mitte ein Tisch mit Arbeitskitteln, an Wänden, Fenstern, Heizkörpern rinnt Farbe herab, tropft und trieft, überflutet den Boden, dazu fast kultische Ornamentik, Textbotschaften, Totenköpfe.

Den dritten hat die Osnabrückerin Katrin Lazaruk, die Kassettenband und Videotapes verarbeitet, so sensuell wie feministisch aufgeladen, der Weg hinein führt durch einen Schamhaar-Vorhang. Nicht alles von „famos“ wird am Ende verschwinden.

Das Festival zielt mittelfristig auf eine „urbane Kunstroute“, sagen Meggers und Bartelds, ein „frei zugängliches Museum für Fassadenkunst“, und es fügt der Innenstadt mit jeder neuen Ausgabe neue, bleibende Murals hinzu. Auch aus 2021 sind so noch Spuren zu finden, Relikte der ersten Ausgabe von „famos“, an einem rohgrauen Luftschutz-Hochbunker aus der Zweiten Weltkrieg am Osnabrücker Hauptbahnhof.

Schade ist nur eins: Die Dachterrasse der Sonntagszeitung ist tabu. Ein wundervoll unmilitärisches Tarnnetz versperrt den Weg zu ihr hinauf. Hier oben ist der Rückzugsraum des „famos“-Teams. Wer ihn von unten sehen will: links neben dem linken Affen.

famos, Festival für urbane Kunst, Osnabrück, 14. bis 22. 10., diverse Orte, Infos auf famos.de

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