: Eine verrückte Zeit
HIP-HOP-RETROSPEKTIVE Musikalischer Generationendialog: Die 1990er waren für die hiesigen Pioniere die Goldene Ära des Hip-Hop. Auf seinem Album „90“ hat Ruhrpott-Rapper Aphroe Meilensteine der Rap-Geschichte mit seiner persönlichen Note versehen
VON BIRK GRÜLING
Ein fiktiver Tag im Hause eines Hip-Hop-Pioniers. Mit seiner Jugendkultur gealtert, streichelt der Vater seinem kleinen Sohn über den Kopf, während der mit großen Augen fragt: „Papa, wo kommt eigentlich der Hip-Hop her?“ Versonnen lächelt der Vater und rückt sein Cap zurecht. „Früher gab es keine MP3s, keine unzähligen Blogs und keine Musikvideos auf Youtube. Am Anfang kamen unsere Platten noch aus den USA, wir probten in unseren Kinderzimmern und traten im Jugendzentrum auf.“ Der Sohn macht große Augen: „Papa, das muss ja schon lange her sein.“ Etwas gedankenverloren nickt der Vater. „Ja, die 90er Jahre waren schon eine verrückte Zeit.“
Dann geht er zum großen Plattenregal im Wohnzimmer und holt ein paar Schätze hervor, um seinem Spross vorzuspielen, was er damals gehört hat. Nas, Jungle Brother oder Mobb Deep werden dabei hervorgeholt und mit knisternder Nadel ehrfürchtig zum Leben erweckt. Nicht umsonst wird der US-HipHop aus dieser Zeit als die Goldene Ära bezeichnet, die die Szene hierzulande bis heute maßgeblich beeinflusst. So stark, dass es inzwischen sogar eine deutschsprachige Hommage an die 90er gibt.
„Ich habe dem geneigten Zeitzeugen sicherlich bekannte, aber für viele jüngere Rapfreunde wohl auch weniger bekannte Meilensteine der Rap-Geschichte mit (m)einer persönlichen Note versehen“, erklärt Aphroe sein „Cover“-Album „90“. Cover ist dabei aber eigentlich gar nicht das richtige Wort – viel stärker hat der ehemalige Ruhrpott AG-Rapper und Hip-Hop-Veteran sich an die Phonetik gehalten, als an eine strenge Übersetzung der Songs. „Ich würde es eher Interpretation oder Hommage nennen. Ich habe sehr viel Wert darauf gelegt, diesen aus meiner Sicht musikalischen Kronjuwelen gerecht zu werden.“
Umrahmt wird sein detailverliebter Sprechgesang von den Beats alter Weggefährten aus den Anfangzeiten des deutschen Hip-Hops wie zum Beispiel DJ Stylewarz, Mr. Wiz oder dem Hamburger Mirko Machine. Letzterer begleitet Aphroe auch auf seiner aktuellen Retrospektiv-Tour, die am Samstag im Hamburger Fundbureau Halt macht. Ein Konzert mit neu interpretierten Klassikern, für das der Hamburger DJ noch einen kleinen Wunsch in Richtung „Generationsdialog“ hat: „Ältere Leute können auch gerne ihre Kinder mitbringen und ihn zeigen, dass es auch früher schon so etwas gab. Darüber würde ich mich total freuen.“
■ Sa, 2. 6., 20 Uhr, Fundbureau, Stresemannstraße 114