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Archiv-Artikel

Mehr Weltwissen im Klassenraum

NEUER KURS Lehrer können sich in Hamburg zur interkulturellen Fachkraft weiterqualifizieren

Jeder zweite Schüler, aber nur jeder zwanzigste Lehrer hat Migrationshintergrund

Schulstudien wie jüngst der „Chancenspiegel 2012“ der Bertelsmann-Stiftung zeigen es immer wieder: Kinder mit Migrationshintergrund schließen ihre Schullaufbahn deutlich schlechter ab als Kinder deutscher Eltern. Sie sind überrepräsentiert bei den Abgängern ohne Abschluss und unterrepräsentiert bei den Abiturienten.

Das muss Gründe haben. Einer ist in der sozialen Schicht vieler Migrantenfamilien zu sehen. Der Zusammenhang zwischen dem Einkommen der Familie und dem Schulabschluss der Kinder wird in den Studien deutlich dargestellt. In Deutschland sind die Chancen eines Akademikerkindes, das Gymnasium zu besuchen, 4,5 Mal höher als das eines Arbeiterkindes.

Bei Migrantenkinder kommen erschwerend Sprachprobleme und kulturelle Unterschiede hinzu. „Viele Konflikte zwischen Schülern mit Migrationshintergrund und Lehrern entstehen aus Unwissenheit und falsch interpretierten Situationen“, sagt Regine Hartung von der Beratungsstelle für interkulturelle Erziehung (BIE) in Hamburg. „Wenn etwa Schüler dem Lehrer nicht in die Augen schauen, werten viele Lehrer das als respektlos und reagieren entsprechend“, so Hartung. „In Russland wird so aber Respekt bekundet.“

Das Klassenzimmer ist längst multikulturell. Annähernd die Hälfte der Hamburger Schüler hat einen Migrationshintergrund. Das Lehrerzimmer spiegelt diese Situation aber nicht wider. „Wir schätzen, das vielleicht fünf Prozent der Hamburger Lehrer einen Migrationshintergrund haben und 20 Prozent der Referendare“, sagt Hartung.

Die BIE ist dem Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung angeschlossen und will die interkulturelle Öffnung der Schulen voranbringen. Das heißt vor allem, Sensibilität und Kompetenzen der Lehrer in diesem Bereich zu stärken und die Strukturen auf die Heterogenität auszurichten, erläutert die Fachreferentin: „Wir wollen Veränderungsagenten für die Schulentwicklung ausbilden.“ Eine solche systematische Qualifizierung habe gefehlt.

Auf Initiative des Hamburger Netzwerks „Lehrkräfte mit Migrationshintergrund“ und der Zeit-Stiftung bietet die BIE im Schuljahr 2012/2013 erstmalig eine 60-stündige Qualifizierung zur interkulturellen Koordination an. Das Interesse der Lehrkräfte ist groß. Zur Informationsveranstaltung Anfang Mai kamen 70 Personen – bei zu vergebenen 20 Plätzen.

Die Absolventen sollen ihre Schule in Sachen Unterrichts-, Organisations- und Personalentwicklung unterstützen: „Die Teilnehmer lernen, wie man andere Lehrer mit ins Boot holt und Unterricht so gestaltet, das sich auch andere Kulturen darin wiederfinden“, sagt Hartung. Der Unterricht sei vielfach eurozentriert, man müsse sich öffnen und mehr Weltwissen vermitteln, zum Beispiel indem man Literatur aus den Herkunftsländern der Schüler behandele. Migrantenkinder würden sich so wertgeschätzt fühlen, was dann letztendlich auch zu besseren Leistungen führe.  Niels Holsten

Anmeldung bis 8. Juni möglich unter: www.li.hamburg.de/bie