piwik no script img

Archiv-Artikel

„Rafsandschani ist das größere Übel“

Die Iraner haben heute die Wahl zwischen dem Erzkonservativen Ahmadinedschat und dem Konservativen Rafsandschani – und damit die Wahl zwischen Pest und Cholera. Plädoyer für einen Wahlboykott

taz: Die Wähler im Iran stehen heute vor der Wahl zwischen dem Erzkonservativen Mahmud Ahmadinedschat und dem ebenso konservativen Haschemi Rafsandschani. Welchen würden Sie empfehlen?

Banisadr: Keinen, ich bin für einen Wahlboykott. Der Vergleich mit der Zeit, als in Frankreich Chirac und Le Pen zur Wahl standen, ist völlig abwegig. Denn in Frankreich herrscht ein demokratisches System. Chirac gehörte zu diesem System, Le Pen nicht. Ein Votum für Chirac war auf jeden Fall ein Votum für die Demokratie und gegen den Rechtsradikalismus. Im Iran hingegen herrscht ein totalitäres System, zu dem beide Kandidaten gehören.

Aber es gibt innerhalb des Systems unterschiedliche Fraktionen. Ahmadinedschat fordert die Rückkehr zu einem total islamisierten Staat, Rafsandschani kündigt Reformen und die Öffnung nach außen an.

Ich halte mich an die Tatsachen. Als Rafsandschani Staatspräsident war, beteiligte sich Ahmadinedschat in seinem Auftrag an zwei Mordattentaten, in Paris gegen den früheren Ministerpräsidenten Schahpur Bachtiar und in Wien gegen den Führer der Demokratischen Partei des iranischen Kurdistan, Abdolrahman Ghasemlu. Unter Rafsandschani wurde Ahmadinedschat Provinzgouverneur. Sie haben jahrelang zusammengearbeitet. Soll man empfehlen, aus Angst vor dem Angestellten dessen Chef zu wählen?

Aber die Stimmung im Iran scheint nach den massiven Wahlfälschungen in der ersten Wahlrunde zugunsten Rafsandschanis umgeschlagen zu sein. Alle Reformer und zahlreiche Politiker, Schriftsteller und Künstler wollen ihn wählen.

Es wäre absurd, zu glauben, dass dieses Regime von jemandem wie Rafsandschani, der zu den Säulen dieses Regimes gehört, in die Schranken gewiesen oder gar beseitigt werden könnte.

Meinen Sie, dass die Leute dem Regime auf den Leim gegangen sind? Waren die Wahlmanipulationen ein Spiel, damit Rafsandschani am Ende stolz behaupten kann, von der überwiegenden Mehrheit des Volkes gewählt worden zu sein?

Jedenfalls kann es nicht sein, dass ein Mann wie Rafsandschani, dessen Taten allgemein bekannt sind, plötzlich rein gewaschen wird. Es ist schon möglich, dass man ein Schreckgespenst gegen ihn aufgebaut hat, damit er als Retter erscheint und damit er und das gesamte System durch das Votum der Mehrheit legitimiert werden.

Angenommen, der Kampf zwischen den Radikalen und den so genannten Moderaten ist echt. Müsste man nicht im Falle eines Sieges von Rafsandschani einen Militärputsch befürchten? Bekanntlich wurden die Wahlmanipulationen durch Revolutionswächter und Paramilitärs getätigt und Ahmadinedschat gehört zum militärischen Arm des Regimes.

Der Putsch hat bereits stattgefunden. Es geht doch letztendlich um den Kampf zwischen den alten und neuen Mafiaorganisationen.

Ja, eben.

Gegen einen Putsch spricht, dass auch Rafsandschani von Militärs, Paramilitärs und mächtigen grauen Eminenzen unterstützt wird. Möglich wäre ein Mordattentat, aber dafür ist er zu gut geschützt. Rafsandschani ist ein Meister von Kungeleien. Er wird die anderen mit ins Boot nehmen und sie werden gemeinsam gegen das Volk regieren.

Es könnte aber auch der Fall eintreten, dass es wieder Wahlfälschungen gibt und so Ahmadinedschat siegt …

Anzeichen dafür sind bereits vorhanden. Einige Agenturen, die den Radikalen nahe stehen, behaupteten, Umfragen durchgeführt zu haben, die einen Vorsprung Ahmadinedschats von 10 Prozent anzeigen.

Wäre das nicht ein Albtraum?

Nein, im Gegenteil. Wenn die neue Mafia an die Macht käme, würde sie mit der alten keinen Kompromiss schließen und auch dem Volk gegenüber zu keinerlei Zugeständnissen bereit sein. Außenpolitisch würde sie das Land in die Isolation treiben. Dann würden sich die Menschen viel schneller entscheiden.

Wie sollen sie sich entscheiden, wenn es keine organisierte Alternative gibt?

Der überwiegenden Teil der Bürger will grundlegende Reformen. So weit sind wir bereits. Was uns fehlt, ist eine organisierte Führung. Aber die kann sich nur dann herausbilden, wenn die Menschen sich klar äußern. So wie die Studentenorganisationen, die zum Wahlboykott aufgerufen haben. Sie haben erklärt, sich nicht zwischen einem Übel und einem größeren Übel, sondern für die Freiheit entscheiden zu wollen. Dasselbe gilt für einen großen Teil der Intelligenz. Hier wird sich die Führung einer echten Opposition formieren, der sich alle anschließen werden, die ein demokratisches System wollen – und das ist die überwiegende Mehrheit des Volkes. INTERVIEW: BAHMAN NIRUMAND