Es war einmal der Klassenkampf

Jeffrey Lewis springt in seinem künstlerischen Ausdruck wie selbstverständlich zwischen Comic, Musik und Lecture Performance. In Bremen kann man das auf zwei Konzerten und einer Ausstellung erleben

Rohe historische Lehrstunde: Lewis' Bilder zur Französischen Revolution Foto: Jeffrey Lewis

Von Jan-Paul Koopmann

Es ist eine dieser Selbstverständlichkeiten, die Gesellschaft und Politik heute so schrecklich kompliziert scheinen lassen: dass Geschichte von Siegern geschrieben wird. Seit man diese Schieflage selbst an der Uni begriffen hat, werden all die großen Entdecker, Feldherren, Könige und so weiter höchstens noch postkolonial beforscht – und ihre Lebenswerke heute dekonstruiert anstatt gewürdigt. Und falls sich jemand über den nörgeligen Ton wundert: Dagegen spricht rein gar nichts. Umgekehrt muss man allerdings schon fragen, ob die Akademisierung der guten alten „Geschichte von unten“ die Sache nun tatsächlich weniger elitär gemacht hat. Das war schließlich mal eine zentrale Hoffnung derer, die damit einmal angefangen haben.

Warum das gerade hier und heute wichtig ist? Wegen Jeffrey Lewis, der aus New York kommt, Comics zeichnet und Musik macht – und der mit sehr handgemachter, linker Geschichtsschreibung durch die Lande tourt und in Bremen gerade zwei Veranstaltungsorte gleichzeitig unsicher macht. Szenebekannt ist Lewis vor allem als langjähriger Vertreter der Antifolk-Szene, der etwa mit den Moldy Peaches gearbeitet hat, später auch Adam Greens Solotouren im Vorprogramm begleitet hat. Rund 30 Alben und EPs hat er inzwischen auf den Markt geworfen.

Lewis ist nun einer von denen, bei dem das Aufbegehren gegen sich eingeschlichene Herrschaftsgeschichte noch ganz einfach klingt, roh und nach Klassenkampf. Da schrabbelt er auf der Akustikgitarre vor sich hin und erklärt in knackig-kurzen Zeilen die französische Revolution: „The King of France was Absolute / the people all were destitute / the year was 17 and 89“. Und so weiter tralala. Keine drei Minuten später sind nicht nur diverse Köpfe gerollt, Napoleon und Robespierre problematisiert, sondern es ist eben auch festgehalten, warum all das noch wichtig ist für alle, die eine bessere Welt auch heute noch nicht völlig abgehakt haben.

Man kann sich das vorstellen wie eine blutige Sendung mit der Maus für nachwachsende Klas­sen­kämp­fe­r:in­nen

Aus diesen historischen Lehrstücken hat Jeffrey Lewis inzwischen ein eigenes Genre entwickelt: Seine „Low-Budget Documentaries“. Am Rande seines Konzertprogramms packt er dann seine Kladde aus und blättert beim Singen durch großformatige Illustrationen seiner Songs: Comics, in denen dann schwitzende Aristokraten mit Juwelen unterm Arm aus dem Land flüchten, Bäue­r:in­nen sich bewaffnen und die Guillotine knallt. In wahnwitzigem Tempo rauscht er so durch die Weltgeschichte: verdichtet hier, reduziert dort – und verkürzt doch nie auf die ganz blöde Parole. Man kann sich das vielleicht ein bisschen vorstellen wie eine blutige Sendung mit der Maus für nachwachsende Klassenkämpfer:innen.

Das Besondere an Lewis’ aktuellem Bremenbesuch ist nun, dass Documentaries diesmal ausnahmsweise im Mittelpunkt stehen. Während er sie am Wochenende auf zwei Konzerten in der Schule 21 wohl auch zeigen wird, lassen sich Reproduktionen der Kladden in einer anderen Ecke der Stadt diesmal auch ganz in Ruhe bewundern, in der Galerie Raum404 nämlich.

Etwas verkleinert hängt hier neben der Französischen Revolution etwa auch das Ende der Sowjet­union. Auch wenn die Kladde bald ein Jahrzehnt auf dem Buckel hat, wirkt sie doch wie tagesaktuell produziert: Der gerade verstorbene Gorbatschow schleicht durch die Geschichte, im Hintergrund wehen die Flaggen der Ukraine. Und auch hier: Zeile um Zeile geht’s vom großen roten Traum durch die Krise bis zum neuen Machtapparat, der ihre letzten Reste internationalen Investoren zum Fraß vorgeworfen hat.

An der Wand gegenüber ist die Vertreibung der Sioux aus dem heutigen Dakota zu sehen, weiter rechts eine kleine Comic-Biographie von Comic-Legende Alan Moore: eine Würdigung zum 60. Geburtstag des „Watchmen“-Erfinders in 2013. Lewis interessiert sich eben nicht nur für politische Revolutionen, sondern auch für Popkultur, für Comics und Musik.

Wirkt tagesaktuell, obwohl schon fast zehn Jahre alt: Comic-Kladde zum Ende der Sowjetunion Foto: Jeffrey Lewis

Apropos Musik: Weil es ohne die auch in der Galerie nicht geht, hat Kurator Gregor Straube neben den Zeichnungen auch noch handgemachte „Audioguides“ im Angebot: Alte Walkmen mit den Songs zu den Bildern auf Kassette.

Und irgendwie macht das was mit einem. Denn auch wenn Jeffrey Lewis nun nicht gerade mit Geheimwissen hausieren geht (und auch bebilderte Drei-Minuten-Songs natürlich kein Geschichtsbuch ersetzen) – ist dieser Blick aufs Gewesene doch sonderbar befreiend, der keinen Quatsch erzählt, keine Ideologien schönredet und trotzdem so bedingungslos solidarisch mit “denen da unten“ ist.

„Jeffrey Lewis’s Low-Budget Documentaries“: Ausstellung bis 17. 9., Raum404, Nicolaistraße 34/36, Bremen; Konzerte: Fr., 16. 9., und Sa., 17. 9., 19.30 Uhr, Schule21, Godehardstr. 21, Bremen