Die Natur soll schuld sein

Das Fischsterben an der Oder trübt die deutsch-polnischen Beziehungen. Während die Deutschen eine Verseuchung im Nachbarland vermuten, weist die Regierung in Warschau jegliche Verantwortung von sich

Wer hat die Verantwortung? Tote Fische im August in Küstrin-Kietz Foto: Dominika Zarzycka/imago

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Gabi Lesser, Warschau

Am polnischen Ufer der Oder sitzen bereits wieder die ersten Angler und warten, dass ein Zander oder Hecht anbeißt. Vor ein paar Tagen trieben hier noch Zehntausende tote Fische vorbei. Bis heute sind von Breslau bis zum Stettiner Haff weit über 200 Tonnen Tierkadaver geborgen worden.

Wer ist verantwortlich für eine der schlimmsten Umweltkatastrophen der vergangenen Jahrzehnte in Europa? Während die deutschen Untersuchungsergebnisse auf eine Industrieanlage in Polen als Verursacher deuten, hat Polens Premier Mateusz Morawiecki von der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) seine Meinung inzwischen geändert: Hatte er vor zwei Wochen noch von der „Vergiftung der Oder“ gesprochen und ein hohes Preisgeld für die Ergreifung der Täter ausgelobt, verkündete er nun, das massenhafte Fischsterben habe eine „natürliche Ursache“. Klar ist: Die unterschiedliche Bewertung des Fischsterbens hat das Zeug, die deutsch-polnischen Beziehungen weiter zu trüben.

Die Woiwodschaft Niederschlesien gab zwar bereits grünes Licht für „Freizeitvergnügen“ an der Oder. Allerdings sollten Angler gefangene Fische wieder zurück in den Fluss werfen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, so die Woiwodschaft, denn das Flusswasser sei so sauber wie zuvor. Zwar gebe es noch ein paar Altarme und auch den mit dem Fluss verbundenen Bajkał-See, eine ehemalige Kiesgrube bei Breslau, in denen noch tote Fische aus dem Wasser gezogen werden. Aber auch dort verbessere sich die Wasserqualität nach und nach, erklärte die Behörde. Auf die erhöhten Salzwerte im Grenzfluss, die das massenhafte Wachsen einer für Fische giftigen Algenart begünstigten, ging sie nicht ein.

Längst hat das Fischsterben eine politische Dimension: Immer wieder hatten PiS-Politiker betont, die angebliche „Quecksilbervergiftung der Oder“ seien „deutsche Fake News“. Und dann beruhigt, polnische Forscher hätten in den Wasser- und Tierproben kein Quecksilber gefunden. Die Deutschen und die Opposition in Polen hätten die Quecksilberlüge in die Welt gesetzt, um der PiS-Regierung zu schaden.

Polens Umweltministerin Anna Moskwa, die weder den polnischen Premier noch die deutschen Partner rechtzeitig von der Umweltkatastrophe informiert hatte, versprach indes zwar eine verbesserte Kommunikation mit dem Nachbarland, attackierte dann aber „die Deutschen“ über Twitter. Denn während aus deutschen Laboren erste Untersuchungsergebnisse und neue Thesen zum Fischsterben an der Oder bekannt gegeben wurden, hörte man aus polnischen Laboren entweder gar nichts – oder aber, dass „weder Quecksilber“ noch andere Schwermetalle im Oderwasser nachgewiesen werden konnten.

Am Montag wollte Moskwa beim Treffen mit Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) im Rahmen des deutsch-polnischen Umweltrats weitere Untersuchungsergebnisse vorstellen. So hätten tschechische und niederländische Labore die polnischen Untersuchungen bereits bestätigt, auf die Ergebnisse aus britischen Laboren warte man noch. Lemke forderte indes erneut den vorläufigen Stopp des Oder-Ausbaus, den Polen trotz Kritik von UmweltschützerInnen vorantreibt, um den Fluss schiffbarer zu machen. Das Treffen dauerte zum Redaktionsschluss noch an.

Bei der Ursachenforschung haben beide Seiten unterschiedliche Ansätze: Polen hat den hohen Salzgehalt in der Oder, den deutsche Umweltchemiker als eine weitere Ursache für die Katastrophe benannten, zwar bestätigt, doch dabei bleibt es dann auch. Während kritische Journalisten schrieben, dass zahlreiche polnische Unternehmen schon seit Jahren ihre Abwässer oft ungeklärt und illegal, aber auch mit Genehmigung der Behörden in die Oder einleiten, sieht sich die polnische Seite bislang außerstande, einen oder mehrere Schuldige auszumachen. KritikerInnen vermuten, dass damit das Versagen von PiS-Behörden und PiS-Politikern vertuscht werden soll. Ohne die massenhafte Blüte der giftigen Alge wäre der hohe Salzgehalt in der Oder nicht weiter aufgefallen. Diese ist nun für die polnische Seite die willkommene Erklärung für die „natürliche Ursache“ des Massensterbens der Fische.

So konnte Premier Morawiecki behaupten, dass „immer mehr darauf hinweist, dass dieses Ereignis einen natürlichen Charakter hat“. Obwohl die vielfach publizierte Faktenlage eine andere ist, sagte er: „Es gab keine größeren Einleitungen chemischer Substanzen – weder von Quecksilber noch von anderen Chemikalien, mit denen man uns erschreckt hat. Sauerstoffmangel hatte es auch früher schon in Flüssen gegeben.“ Dabei war im oberen Oderlauf nicht fehlender Sauerstoff festgestellt worden, sondern ganz im Gegenteil eine relativ hohe Sauerstoffkonzentration, die auf die Photosynthese der in salzhaltigem Wasser rasch wachsenden Algenblüte zurückzuführen war.

Um eine ähnliche Öko-Katastrophe künftig zu vermeiden, wäre ein regelmäßiges und möglichst automatisiertes Fluss-Monitoring notwendig, sagt Andrzej Woznica, Biologieprofessor an der Schlesischen Universität in Kattowitz. Zwar will nun Umweltministerin Moskwa umgerechnet 53 Millionen Euro für die Digitalisierung des polnischen Fluss-Kontrollsystems ausgeben, doch bislang gibt es an den Flüssen keine Messstationen, die regelmäßig die Wasserqualität überprüfen. Das Monitoring sei „sehr teuer“, sagt Professor Woznica, die automatischen Messstellen kosteten „über 10 Millionen Euro pro Stück. Dazu kommen noch die Kosten für den Chemiker, der die Ergebnisse regelmäßig auswerten muss. Die Deutschen haben drei davon, wir keine einzige.“