die gesellschaftskritik
: Täter-Opfer-Umkehr am Beispiel einer Walrossdame

In Oslo entzückte das Walross Freya, indem es sich zum Sonnenbad auf Fischerboote wälzte. Nun wurde Freya eingeschläfert

Man stelle sich vor: An einem idyllischen Fjord, zugegeben: Walrossgebiet, triebe sich seit einigen Wochen eine sonnenverliebte Dame mittleren Alters herum. Sie legte sich dort stets auf einen freien Felsen, mit Abstand zu den dort lebenden Walrossen. Die wiederum wären natürlich irritiert, vielleicht sogar amüsiert: Eine Menschenfrau! In ihrem Gebiet! Wie dreist! Irgendwie auch witzig.

Also kommen die Walrosse immer wieder zum Gucken an den Felsen, immer näher, vielleicht auch zum Fotosmachen (zur Verdeutlichung ist in dieser Utopie alles erlaubt). Die Dame stört das nicht, sie schläft 20 Stunden am Tag. Doch mit der Zeit werden die Walrosse immer aufdringlicher. Und die Walrossbehörden werden unruhiger: Wer weiß, vielleicht könnte es der Sonnenanbeterin irgendwann zu bunt werden, vielleicht würde sie aggressiv und schösse mit einem unter dem Handtuch versteckten Jagdgewehr auf die Schaulustigen. Also beschließen die Behörden, die Dame präventiv mit ihren Walrosszähnen aufzuspießen. Zu ihrer eigenen Sicherheit. Und der der Walrosse natürlich. Klingt unlogisch? Ist aber genauso in Oslo geschehen. Na gut, die alte Dame war in Wahrheit das Walross und die Schaulustigen waren Menschen. Aber hey, vielleicht wird so noch etwas deutlicher, wie absurd der menschliche Umgang mit tierischen „Störenfrieden“ zuweil ist.

Walrossdame Freya hatte zunächst noch alle damit begeistert, wie sie ihren knapp 600 Kilo schweren Körper auf winzige Fischerboote schwang, um auf ihnen in der Sonne zu dösen. Manche gingen unter der Last unter, haha, wie witzig, eine putzige Tiergeschichte fürs Internet! Doch dann gingen die Tierliebhaber immer näher ran, manche sprangen zu Freya ins Wasser für das perfekte Foto. Die Osloer Polizei twitterte, dass Freya zunehmend „wütend“ reagiert habe und „zischte“ – kurze Übersetzungshilfe: Haut ab!

Schließlich also die Entscheidung, das Walross einzuschläfern. Der Leiter von Norwegens Fischereibehörde sagte, die Entscheidung sei „auf Grundlage einer umfassenden Bewertung der anhaltenden Bedrohung für die menschliche Sicherheit getroffen“ worden. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir das Wohlergehen des Tieres mit keinem der verfügbaren Mittel garantieren können.“ Eine gute Begründung. In meiner Utopie hätte der Leiter der Walrossbehörde sicher etwas Ähnliches gesagt. Lale Artun