piwik no script img

Aufruhr um Lesung für Bejarano

Umstrittenes Podium bei Veranstaltung zur Holocaustüberlebenden. Scharfe Kritik vom VVN-BdA

Von Tanja Tricarico

Eigentlich soll die Lesung eine Hommage an die verstorbene Holocaustüberlebende ­Esther Bejarano sein. Die Bochumer Moderatorin Esther Münch will aus einem ihrer letzten Interviews lesen. Anschließend soll mit Ex­pert:in­nen über Antisemitismus und die Schrecken der Shoah – wie es in der Ankündigung der Veranstalter, der Lamalo Consulting GmbH heißt – diskutiert werden. Veranstaltungsort ist Mitte September die Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen.

Für Empörung sorgt jetzt die Auswahl der Diskutant:innen. Gäste wie die Antisemitismusbeauftragte Nordrhein-Westfalens, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, werden in der Ankündigung aufgelistet oder der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer. Aber auch der Frontmann der Band Frei.Wild, Philipp Burger. Die Band ist hoch umstritten, die Liste der Vorwürfe lang: sie sei nationalistisch, völkisch, der rechten Szene zuzuordnen. Burger sang früher in Rechtsrockbands. Heute distanziert er sich von seiner Vergangenheit.

Auf das Podium aufmerksam gemacht wurde über den Twitter-Account von Microphone Mafia. „Esther hätte es nie zugelassen“, heißt es dort. Und weiter, es gehe nicht um die Veranstaltung an sich, sondern um das Line-up. Die Kölner Rapband trat jahrelang gemeinsam mit Bejarano auf. Bei allen Auftritten machte sie deutlich, dass der Kampf gegen rechts nicht zu Ende ist. Sie stellte sich gegen Faschismus, gegen Rassismus und warnte vor der Normalisierung dieser Ideologien. Bejarano starb am 11. Juli 2021.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (­VVN-BdA) kritisierte die Auswahl der Gäste scharf: „Ein Mensch, der über die Liebe zu Volk, Nation und Heimat singt und na­tio­na­lis­ti­sche Phrasen über Identität drischt, soll auf einer Veranstaltung sprechen dürfen, die den Namen Esther Bejarano im Titel trägt (…). Gegen diese plumpe Vereinnahmung des Andenkens (…) sprechen wir uns in aller Deutlichkeit aus.“ Das Bündnis forderte die Veranstalter auf, Burger auszuladen.

Teilnehmerin Leutheusser-Schnarrenberger verwies auf taz-Anfrage auf eine Studie zum Antisemitismus im Gangsta-Rap in Deutschland, die sie bei der Uni Bielefeld in Auftrag gab. „Musikakteure in diesem Musik-Jugendgenre haben auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Dazu wird Philipp Burger sich äußern können und müssen.“ Eine kritische Diskussion solle zur Aufklärung über die Gefahren des Antisemitismus beitragen. Eine Antwort der Veranstalter lag bis Redaktionsschluss nicht vor. Die Familie von Bejarano will sich in den kommenden Tagen äußern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen