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Rendezvous mit der Realität

Bald steht im Landtag von Baden-Württemberg die Abstimmung über das heikle Klimaschutzgesetz an. Ob mitregierende CDU-Granden ihre Lust werden zügeln können, die grüne Umweltministerin auflaufen zu lassen, bleibt abzuwarten.

Eine Erkenntnis, die nach Taten schreit. Foto: Joachim E. Röttgers

Von Johanna Henkel-Waidhofer↓

Die Inszenierung sollte perfekt sein im Frühjahr 2021: Im Stuttgarter „Haus des Waldes“ zelebrierten der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl und sein damaliger Generalsekretär Manuel Hagel ihre Rollen als Gastgeber zum Auftakt der Koali­tions­verhandlungen nach der Landtagswahl im Südwesten. Natürlich musste Hermann Hesse herhalten mit seinem bis zum Überdruss plattzitierten „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, auch wenn Grüne und CDU zu diesem Zeitpunkt bereits die fünf Jahre der vorangegangenen Legislaturperiode miteinander regiert hatten.

Innenminister Strobl fand unterm Fernsehturm sogar Zeit für ein Schwätzchen mit ein paar versprengten Demon­stran­t:in­nen: „Sie glauben nicht, was dieser Tanker CDU für eine Wucht entwickeln kann.“ Und er kündigte an, Grüne und Union würden sich selbstredend nicht gegenseitig hinter die Fichte führen. Jedenfalls findet sich im großspurig „Erneuerungsvertrag“ getauften Koali­tions­papier die hehre Absicht, Baden-Württemberg „als Klimaschutzland zum internationalen Maßstab zu machen“.

Unterstellt, dieser Anspruch wäre ernst gemeint, sogar unterstellt, der mittlerweile zum Fraktionschef im Landtag aufgestiegene Hagel hielte die sogenannte Bewahrung der Schöpfung wirklich „für die Zukunftsaufgabe schlechthin“ – ein Verhandlungserfolg wäre selbst dann keineswegs sicher. Im Denken und Fühlen beim Thema Klimaschutz sind sich die beiden ungleichen Partner fremd geblieben. Die Grünen wollen ordnungspolitische Leitplanken einziehen, sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann gerne, um den Begriff Verbote zu vermeiden, weil der Markt „uns dorthin gebracht hat, wo wir heute stehen“.

Der Plan der Union ist das Prinzip Hoffnung

Kritik am Markt ist in der CDU eines Friedrich Merz aber so tabu wie eh und je. Die Konservativen setzen auf „Innovationen und technologischen Fortschritt statt Bevormundung und Verbote“, wie der umweltpolitische Sprecher Raimund ­Haser schon im vergangenen Landtagswahlkampf immer und immer wieder erklärte. In einem Positionspapier der Fraktion zur Klimaneutralität finden sich dementsprechend außer Jahres- und Seitenzahlen keinerlei Zahlen – und erst recht keine, die konkret sagen würden, was es bedeutet, wenn Baden-Württemberg bis 2040 gänzlich klimaneutral sein will. Vielmehr plädieren die Schwarzen dafür, den Fokus auf bereits heute bekannte und verfügbare, in jedem Fall aber ausbaufähige Energiequellen zu legen.

Das klingt gut, gehorcht aber vor allem dem Prinzip Hoffnung, weil sich der Abstand zwischen den angestrebten CO2-Einsparungen und der Umwandlungs­geschwindigkeit fossiler Energieträger hin zu alternativen schließen muss. CDU-Abgeordnete versuchen Zweifel an der Erreichbarkeit dieses Ziels zu zerstreuen, reden viel von einer schönen Zukunft und wenig von einer problembeladenen Gegenwart. Die Grünen, namentlich die Umweltministerin, gehen einen ganz anderen Weg. Thekla Walker hat, nachdem allzu viele ihrer Kabi­netts­kolle­g:in­nen nicht in die Puschen kommen wollen, ein umfangreiches „Gesetz zum Erlass eines Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetzes und zur Verankerung des Klimabelangs in weiteren Rechtsvorschriften“ erarbeitet. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich reichlich Sprengstoff.

Die frühere Grünen-Landesvorsitzende, die schon den Koalitionsvertrag von 2016 mitverhandelt hat, will ganz anders als die CDU nicht mehr auf plakative Beschränkungen verzichten. Devise: Wer nicht hören will, muss fühlen. Ein Beispiel für die Methode Walker liefert das Reizthema innerdeutsche Flugreisen für Beschäftigte des Landes. Nur noch bis Jahresende 2023 sollen sie gratis sein, im Klartext: aus dem Staatssäckel bezahlt werden. Seit circa zwei Jahrzehnten wird diskutiert und appelliert, auch über die Reisen von Parlamentsausschüssen. Unvergessen eine Fahrt der Bil­dungs­poli­ti­ke­r:in­nen nach Kiel. Erfolglos plädierten die Grünen für Zug statt Flug, fuhren schließlich allein mit der Bahn und saßen schon entspannt an der Förde, während der Rest der Truppe auf dem Hamburger Flughafen noch aufs Gepäck wartete. Umdenken? „Jetzt erst recht nicht“, sagte eine CDU-Schulexpertin, die bekannt war für ihre prinzipielle Weigerung anzuerkennen, dass die Grünen sogar mal recht haben könnten.

Gerade die heutige Umweltministerin Thekla Walker allerdings hatte schon öfter recht. Zum Beispiel im Sommer vor neun Jahren, als die „Bild“-Zeitung im Zusammenspiel mit Union und FDP das Thema Veggie-Day hochkochte und schon damals gegen „Verbote und Bevormundung“ zu Felde zog. Die Grüne hielt tapfer dagegen und forderte speziell die CDU dazu auf, „bei der Wahrheit zu bleiben“, weil es „nicht um irgendeinen Zwang geht, sondern darum, Menschen für eine nachhaltige, umwelt- und gesundheitsbewusste Ernährung zu sensibilisieren“. Immerhin sei die globale Massentierhaltung für mindestens 18 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Auch ihr Hinweis, „dass weltweit 900 Millionen Menschen hungern, während 30 Prozent der Weltgetreideernte in den Futtertrögen der Mastbetriebe landet“, konnte die christlichen Bewah­re­r:in­nen der Schöpfung nicht überzeugen. Wahlkampfmunition war ihnen wichtiger, und tatsächlich ging die Bundestagswahl wenige Wochen später für die grünen Spaßbremsen krachend verloren.

Sogar die FAZ fleht: Macht hinne beim Klimaschutz

Die Ausgangslage im Sommer 2022 ist jedoch eine ganz andere. Der Ministerpräsident höchstpersönlich hat den Zeitplan für die Arbeit am Klimaschutzgesetz öffentlich gemacht. Bis zu den traditionellen Herbstklausuren Mitte September müssen die Einzelheiten stehen. Darunter präzise Vorgaben, die die CDU so gerne umschiffen möchte. Dabei steht schon im Koali­tionsvertrag, dass für „2030 entsprechende Sektorziele“ gesetzlich zu fixieren sind.

Neu berechnet hat das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung (ZSW), dass zum Beispiel der Verkehr nicht mehr 40, sondern 55 Prozent weniger Ausstoß bringen muss. Die Grünen wollen solche Zahlen im Gesetz verankern, die CDU mag so etwas grundsätzlich nicht und warnt vor der Einklagbarkeit. Unter anderem soll durch den Verzicht auf Präzision der Deutschen Umwelthilfe (DUH) die juristische Basis für erfolgreiche Gerichtsauseinandersetzungen genommen werden – siehe die von der DUH nicht nur in Stuttgart gewonnenen Prozesse zum Thema Feinstaub-Belastung und Fahrverbote.

Statt sich der Realität von Statistiken und Prognosen zu stellen, stellt die CDU lieber waghalsige Thesen auf. Eine aus dem Positionspapier steht für alle: „Stuttgart 21 und der digitale Knoten Stuttgart schaffen zusätzliche Kapazitäten im Schienenverkehr.“ Ihre Behauptungen erzählen immer auch die Wohlfühlgeschichte, wonach sich im Kampf gegen die Erderwärmung alles schon irgendwie schütteln und rütteln wird – ohne einschneidende Veränderungen im Lebensstil.

Dabei müssten die Gastgeber der Koalitionsverhandlungen von vor gut einem Jahr im Wald auf den Fildern nur eines ihrer Lieblingsblätter studieren. Denn angesichts der Katastrophen rund um den Globus garniert die FAZ die Sommerverhandlung 2022 mit einem fast flehentlichen Aufruf zum Handeln: „Der galoppierende Klimawandel fegt über eine Welt, in der die Möglichkeiten der Anpassung und Vermeidung wegschmelzen.“ Und den Preis dafür zahlen die nächsten Generationen. Thomas Strobl, Manuel Hagel und die Ihren haben sich angeblich einer enkelgerechten Politik verschrieben. Die Umweltministerin wird sie nicht daran hindern, den Worten Taten folgen zu lassen.

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