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Archiv-Artikel

Mit Filzstiften die Stadt umbauen

In Velbert entwerfen Jugendliche ihre Stadt neu: Sie wünschen sich Kunstrasen zum Bolzen, Schuhläden und grüne Fußgängerampeln. „Kostenneutrale“ Wünsche will die Stadt umsetzen

Das Jugendzentrum ist geschlossen. Nun fehlt ein Dach zum Abhängen bei Regen

AUS VELBERTLUTZ DEBUS

In der kleinen Stadt Velbert planen SchülerInnen die Zukunft der Stadt. In einem bundesweit einmaligen Projekt kriechen etwa 50 Jugendliche auf dem Fußboden der Aula der Gesamtschule umher, zeichnen mit lila Filzstiften ihren Schulweg ein. Hierfür hat das Planungsamt der Stadt eine große Karte zur Verfügung gestellt. Im Format 18 mal 23 Meter ist Velbert und dessen Umland, zwischen Essen und Wuppertal gelegen, maßstabsgetreu dargestellt.

Wochenlang waren Schülerinnen und Schüler in ihrem jeweiligen Stadtteil unterwegs, um eine Mängelliste zu erstellen. Nun sollen die Beanstandungen auf der Straßenkarte markiert werden. Younes und Domenico haben den Freizeitpark, den sie sich vorgeknöpft haben, auf dem Papierfußboden schnell gefunden. Mit Blitzen beschriften die beiden Siebzehnjährigen einzelne Parzellen. „Auf dem Minigolfplatz reicht mir das Unkraut bis zum Kopf.“ – „Das Fußballfeld ist eine Betonfläche.“ – „Auf den Tennisplätzen lagern Berge von alten Autoreifen.“ Die Beschwerden der Jungs klingen fundiert. Und sie haben Verbesserungsvorschläge: „Auf Kunstrasen ließe sich besser bolzen.“ Ihr größter Wunsch wäre in der Stadtmitte eine große Videowand für die Fußball-WM im nächsten Jahr.

Ein paar Meter entfernt oder eben ein Stadtteil weiter hocken Julia und Anne neben der alten Feuerwache. Früher war hier ein Jugendzentrum, das aber wegen Sparmaßnahmen geschlossen wurde. „Wir hängen hier trotzdem rum,“ berichtet die 14-jährige Anne, „nur fehlt ein Dach, wenn es regnet.“ Ein offen stehender Schuppen wurde vor ein paar Monaten abgerissen. Julia entdeckt auf ihrem markierten Schulweg eine gefährliche Kreuzung. „Die Autos haben zur gleichen Zeit grün wie die Fußgänger.“ Aus der Vogelperspektive ist es klar, warum. Die Autos sind Rechtsabbieger. Aber im wirklichen Leben, so versichert Julia, sehe es ganz anders aus. Grünes Licht für Autos und Schulkinder.

Kara und Jacqueline haben andere Probleme. Während sich die meisten Jugendlichen in der Stadtmitte tummeln, sitzen die beiden weit ab in einer verlassenen Ecke der Schulaula. Und so geht es ihnen auch in ihrem wirklichen, tausendfach größeren Leben in Neviges-Tönisheide. Um zur Schule zu kommen, müssen die beiden Mädchen zwei Mal umsteigen. Die SchülerInnen im Stadtzentrum planen gerade eine neue Disco, die Jugend aus Tönisheide wäre schon mit einer S-Bahn-Station zufrieden. Und bessere Einkaufsmöglichkeiten bräuchten sie. „Bei Mode Felix gibt es doch nur Unterwäsche für Leute ab 40!“ Die Jugendlichen sind mit Feuereifer dabei. Aber ist die Stadtplanung für das Jahr 2015 bei leeren öffentlichen Kassen nicht für den Mülleimer? Werden die Teilnehmenden nicht voraussehbar enttäuscht und betrogen?

Gisbert Böker vom Geschäftsbereich Grünflächen sieht das nicht so. Vieles lasse sich kostenneutral verändern: „Wenn die Stadt im Flächennutzungsplan ein Grundstück für jugendgerechte Gewerbeansiedlungen ausweist, entstehen ja keine unmittelbaren Kosten.“ Kara und Jacqueline wünschen sich schmunzelnd eine Einkaufsmall mit Modeläden, Schuhgeschäften und einem Schnellimbiss in ihrem Dorf.

Velberts Verwaltung wird sich anstrengen müssen, Investoren zu finden. Immerhin hat der Bürgermeister Stefan Freitag, parteilos und mit 37 Jahren einer der jüngsten Stadtchefs in NRW, zu Beginn des Projektes gesagt: „Ihr seid die Bürger von Morgen. Ihr seid unsere Auftraggeber.“