piwik no script img

Widerspruch statt Konsumanreiz

Die Ausstellung „Werbepause – The Art of Subvertising“ im BerlinerKunstraum Kreuzberg/Bethanien stellt verschiedene Ansätze vor, ins schreiende Werbeeinerlei im öffentlichen Raum einzugreifen

Von Tom Mustroph

Adbusting, das Verändern von Werbebotschaften im öffentlichen Raum, hat auch eine handwerkliche Komponente. Das wird am prima gestalteten Anleitungsflyer der Initiative Subvertisers for London deutlich. Man öffne mit einem simplen Vierkantschlüssel den Plastikkasten einer Werbetafel an einer Londoner Bushaltestelle, klappe die Abdeckung hoch, rolle das alte Poster von unten nach oben auf, platziere an dessen Stelle, von oben nach unten rollend das eigene und schließe den Kasten wieder brav. Die Anleitung ist Bestandteil der Ausstellung „Werbepause – the Art of Subvertising“ im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien. Es ist schön zu sehen, dass Kunstausstellungen auch einmal eine nützliche Komponente haben können.

„Werbepause“ präsentiert eine große Bandbreite von Interventionen in die Werbewelt. Das Ziel können dabei Werbetafeln von Großunternehmen mit zweifelhaften Geschäftspraktiken sein, aber auch solche von öffentlichen Institutionen mit Widerspruch herausfordernden Politikansätzen. In der Londoner U-Bahn überklebte die Initiative Special Patrol Group Plakate der britischen Regierung, auf denen die „Greatness“ des Inselkönigreichs herausgestellt wurde, mit der Buchstabenfolge „Apartheid“. „Apartheid is great“ stand dann auf den Regierungsplakaten. Gemeint war die Unterstützung Israels durch die Briten.

Auch Unternehmen bekamen ihr Fett weg. Weil zur Klimakonferenz 2021 viele multinationale Konzerne mit eher düsterer Umweltbilanz als Großsponsoren auftraten, gestalteten Ak­ti­vis­t*in­nen der Brandalism-Bewegung neue Werbeplakate für diese Unternehmen und schafften es auch, sie im Stadtraum von Paris zu platzieren. „Es tut uns leid – dass man uns erwischt hat“, stand etwa, anspielend auf den Dieselbetrugsskandal von VW, unter einem veränderten Werbeplakat des Wolfsburger Autobauers.

Von drastischer Aussagekraft ist auch der Slogan „Ich vermisse meine Lunge, Bob“, auf einem der klassischen Cowboy-Plakate von Marlboro. Dieses Projekt wurde allerdings von der kalifornischen Regierung im Rahmen einer Antiraucher-Kampagne finanziert – ein Hinweis darauf, dass Subvertising längst nicht nur ein Mittel kleiner Protestgruppen ist, sondern auch zu einem Handwerkszeug von Amtsträgern geworden ist.

Wird gegen sie, die Amtsträger also, parodistisch vorgegangen, ist die Neigung, die ganze Härte des Gesetzes zum Einsatz zu bringen, allerdings ebenfalls sehr deutlich ausgeprägt. Als eine Jurastudentin, die unter dem Pseudonym Frida Henkel agiert, vor drei Jahren in Berlin beim Aufhängen eines Plakats erwischt wurde, das unter Verwendung von Werbematerialien der Bundeswehr den Ausspruch beinhaltete: „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe“, musste sie eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen. Zudem wurde wegen Diebstahls und Sachbeschädigung gegen sie ermittelt. Das Verfahren wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt. „Henkel“ reichte vor dem Bundesverfassungsgericht Klage gegen die Hausdurchsuchung ein und will auf diesem Wege die in ihrem Falle tatsächlich extrem überzogene Verfolgungspraxis delegitimieren.

Die Ausstellung „Werbepause“ versammelt zahlreiche Beispiele gelungener Hacking-Aktionen von großformatigen Papieren im öffentlichen Raum. Ziemlich traurig stimmt allerdings, dass das „First Things First“-Manifest von US-Grafikdesignern aus dem Jahr 1964 in der Werbebranche selbst so wenig Nachahmer fand. Es forderte die Kol­le­g*in­nen auf, die eigenen Fähigkeiten nicht mehr zur Ankurbelung der Konsummaschine für immer neueren Kaufdruck für Katzenfutter, Rasiercremes oder Zigaretten einzusetzen, sondern für sinnvollere Kampagnen im sozialen, politischen und kulturellen Feld zu mobilisieren.

Inseln der Ruhe für das im Abwehrkampf gegen Werbereize angestrengte Auge

Den ganz großen Widerhall fand das Manifest nicht, wie das Straßenbild, die Werbestrecken im linearen Fernsehen und die aufploppenden Werbetafeln im Netz immer wieder deutlich machen.

Subtilere ästhetische Eingriffe wie die Streifen, Kreise und anderen klaren geometrischen Formen, die der New Yorker Künstler Jordan Seiler auf Werbetafeln ausbringt, werden ebenfalls vorgestellt. Seilers Arbeiten schaffen Inseln der Ruhe für das im Abwehrkampf gegen Werbereize angestrengte Auge.

„Werbepause“ erinnert daran, dass man sich dem visuellen Stimulierungsexzessen zu noch mehr Konsum nicht kampflos unterwerfen muss. Statt Vierkantschlüsseln wie in London kommt man in Berlin häufig mit Sechskantschlüsseln weiter, um die Werbekästen zu öffnen. So viel praktische Information darf auch ein Text über eine Ausstellung enthalten.

Kunstraum Kreuzberg/­Bethanien, bis 21. 8.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen